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Politik

Einigkeit nach Putsch im Vielvölkerstaat?

25. Februar 2021

Auch die Minderheiten im Vielvölkerstaat Myanmar protestieren gegen das Militär. Aber eine Rückkehr zur Demokratie ist nicht unbedingt ihre oberste Priorität.

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Angehörige der Shan-Minderheit protestieren auf dem Inle-See gegen die Militärregierung
Angehörige der Shan-Minderheit protestieren auf dem Inle-See gegen die MilitärregierungBild: Calito/AFP/Getty Images

Am Montag, genau drei Wochen nach dem Putsch, kam es im Vielvölkerstaat Myanmar zu den bisher größten Demonstrationen. Die von Zahlenmagie faszinierte Bevölkerung rief am 22.2.2021 zum "22222-Generalstreik" auf. Nicht nur in Yangon und Mandalay, sondern auch in den Hauptstädten der Staaten der ethnischen Minderheiten versammelten sich Tausende, um gegen das Militär zu demonstrieren. Fotos aus Lashio im Shan-Staat, Myitkyina im Kachin-Staat oder Hpa-An im Kayin-Staat zeigen Demonstrierenden mit den Flaggen der ethnischen Gruppen.

Auch die ethnischen Gruppen rufen zum Kampf gegen das Militär auf und fordern, sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams (Civil Disobedience Movement, CDM) anzuschließen. Die Kampagne wurde wenige Tage nach dem Putsch ins Leben gerufen, seither haben Krankenschwestern, Bankangestellte, Gleisarbeiter und viele andere ihre Arbeit niedergelegt.

Unruhige Randgebiete

Auf den ersten Blick haben sich einige der einflussreichen ethnischen Minderheiten mit den Demonstriredenden der "Generation Z", wie sie sich nennen, solidarisiert. Die Minderheiten des Landes machen zusammengenommen etwa ein Drittel der mehr als 50 Million Einwohner aus. Sie leben vor allem in den Grenzgebieten, die das von der ethnischen Majorität der Bamar dominierte Kernland mit den fruchtbaren Reisfeldern hufeisenförmig umschließen. Sie kämpfen seit Jahrzehnten für mehr Autonomie, und das auch mit Waffen.

Infografik Karte Größere Ethno-linguistische Gruppen in Myanmar DE

Neben den zivilen Organisationen der Minderheiten gibt es die militärischen, wie etwa die einflussreiche "Karen National Union" (KNU), die bis zu 30.000 Mann starke "United Wa State Army" oder die "Kachin Independence Army" (KIA). Insgesamt existieren mindestens 21 solcher bewaffneter Organisationen der ethnischen Minderheiten, und eine kaum überschaubare Zahl von Milizen.

Die Auseinandersetzungen über die Frage der politischen und wirtschaftlichen Teilhabe prägen Myanmar seit der Unabhängigkeit 1948. Die Folge: Ein seit 70 Jahren immer wieder aufflammender Bürgerkrieg. Nach einer Studie der "Asia Foundation" von 2017 ist etwa jeder vierte Einwohner von den gewaltsamen Auseinandersetzungen betroffen. Dabei kämpfen die Minderheitenarmeen nicht nur gegen die Zentralregierung, sondern zum Teil auch gegeneinander.

Angebot des Militärs abgelehnt

Was das Militär immer gefürchtet hat, ist eine Allianz zwischen den ethnischen Minderheiten und der zivilen Opposition um Aung San Suu Kyi. Die Generäle machten den militärischen ethnischen Organisationen am Tag des Putsches deswegen auch ein Angebot. In einer "Stellungnahme zum Waffenstillstand und ewigen Frieden" erklärten sie, dass sie bis zum 28. Februar alle militärischen Operationen aussetzen und den Friedensdialog fortsetzen wollen.

Soldaten der Karen National Union (KNU) im Jahr 2012 mit Panzerfäusten und automatischen Waffen
Soldaten der Karen National Union (KNU) im Jahr 2012Bild: Pornchai Kittiwongsakul/AFP/Getty Images

Das Angebot wurde von wichtigen Akteuren ausgeschlagen, so auch von dem sogenannten Steuerungsteam für den Friedensprozess ("Peace Process Steering Team", PPST). Das Team repräsentiert zwölf Minderheitenarmeen, die das sogenannte nationale Friedensabkommen (NCA) 2015 unterzeichnet haben. Das PPST erklärte unter anderem, dass es die Kampagne zivilen Ungehorsams unterstützt.

Von Suu Kyi enttäuscht

Die entscheidende Frage lautet nun, wie belastbar die neue Solidarität ist. Der Experte Saw Kapi vom Salween Institute for Public Policy sagte auf einer digitalen Veranstaltung der Universität Göteborg zum Putsch: "Wir [gemeint sind die Demonstrierenden und die Minderheiten] sind vereint in der Frage, was wir nicht wollen. Aber es bestehen Differenzen darüber, was wir wollen." Momentan gilt: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Interessen und Ziele der verschiedenen Volksgruppen überschneiden sich bei der Ablehnung des Militärs, aber sie unterscheiden sich grundsätzlich bei der Frage, wie das Land zukünftig regiert werden soll.

Treffen zum Friedensdialog in der Hauptstadt Naypyitaw
Treffen zum Friedensdialog in der Hauptstadt Naypyitaw im August 2016Bild: Reuters/Soe Zeya Tun

Das zeigt auch die Bewertung von Aung San Suu Kyi, deren Konterfei auf vielen Protestschildern in Yangon oder Mandalay zu sehen ist. Bisher machte es aus Sicht der Minderheiten kaum einen Unterschied, ob die Armee mit oder ohne Aung San Suu Kyis Nationaler Liga für Demokratie (NLD) regiert. Die Hoffnungen, dass mit einer zivilen Regierung der NLD ein Prozess der Aussöhnung und politische Verhandlungen über eine Beteiligung an der Macht in Gang kämen, wurden nach 2015 enttäuscht. Vor allem das von Aung San Suu Kyi ins Leben gerufene Forum namens "Union Peace Conference - 21st Century Panglong" steht dabei in der Kritik, wie der unabhängige Experte Ashley South im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte: "Es gab eine große Enttäuschung über die NLD-Regierung. Das Unvermögen der NLD, irgendwelche Fortschritte im Friedensprozess zu erzielen, hat viele frustriert."

Autonomie hat für Minderheiten Priorität

Im Zentrum des Konflikts steht dabei die zentrale Frage des Föderalismus. Die einflussreiche bewaffnete Gruppe "Restoration Council of Shan State" (RCSS) erklärte nach Berichten der englischsprachigen Zeitung "The Irrawady" beispielsweise, dass sie dem Volk bei der Errichtung einer föderalen Union und dem Schutz des demokratischen Übergangs zur Seite stehen werde. Im Zentrum stehen für diese Minderheitenarmee aus dem Shan-Staat wie auch für die meisten anderen bewaffneten Organisationen der ethnischen Minderheiten Verhandlungen über mehr Autonomie, und nicht etwa Demokratie oder gar eine Rückkehr Aung San Suu Kyis.

Doch was unter Föderalismus zu verstehen ist, ist in Myanmar seit jeher umstritten. Bis 2014 unterband das Militär jede Diskussion, in der das Wort Föderalismus nur erwähnt wurde, da es darunter Separatismus verstand. Inzwischen darf zwar darüber gesprochen werden, aber die Vorstellungen reichen von einer begrenzten Selbstbestimmung in Fragen der Kultur bis hin zu einer weitgehenden Autonomie der ethnischen Staaten. "Die Details eines zukünftigen föderalen Staates sind nach wie vor unklar und die Diskussion dieser Details hat einen heftigen Streit ausgelöst, der in den aktuellen Friedensverhandlungen in eine Sackgasse geführt hat", so urteilt Michael Siegner in einer Studie zum Friedensprozess für die Hanns-Seidel-Stiftung. Auch Ashley South sagt, dass die NLD bisher der Position des Militärs viel näher stand als der der ethnischen Minderheiten.

Offene Entwicklung

Nicht zuletzt spielt Vertrauen bzw. der Mangel an Vertrauen eine große Rolle. Khuensai Jaiyen vom "Steuerungsteam für den Friedensprozess" sagte auf einem Workshop an der thailändischen Chiang Mai-Universität zum Putsch: "Das größte Problem ist nicht, was wahr und was falsch ist, sondern der Vertrauensverlust... Das Vertrauen wurde erschüttert. Wenn sie es sich untereinander antun können, dann können sie es auch uns antun." Mit "sie" meint Khuensai Jaiyen die Bamar, die sowohl beim Militär als auch in der NLD das Sagen haben, mit "uns" meint er die ethnischen Gruppen. Die Unterscheidung von "Wir" und "die Anderen" ist also nach wie vor dominant.

Dennoch besteht laut dem Myanmar-Experten South eine reale Chance, um die mächtige Institution des Militärs herauszufordern. "Die Tatmadaw respektiert die Macht der Zahlen. Und wenn es eine ausreichend starke Koalition gibt, dann wird die Realpolitik dafür sorgen, dass die Führung der Armee den Protest ernst nimmt und vielleicht das Gefühl bekommt, dass sie keine andere Wahl hat, als zu verhandeln." Umgekehrt bedeutet das aber auch: Wenn das Militär, wie in der Vergangenheit, die Protestbewegung und die Ethnien erfolgreich spaltet, wird es die Oberhand behalten.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia