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SPD-Debatte um Obergrenzen für Flüchtlingsaufnahme

Wolfgang Dick16. Oktober 2015

Mit dem Parteiaustritt eines SPD-Oberbürgermeisters erleben die Sozialdemokraten einen Höhepunkt im Streit über ihren Kurs gegenüber Flüchtlingen. Die Führungsspitze ist gegen Aufnahme-Obergrenzen. Bleibt es dabei?

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SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

"Die Aufnahme von Flüchtlingen muss begrenzt werden." Wer keine Obergrenzen für den Zustrom von Flüchtlingen möchte, würde Städte und das Land überfordern. Insofern seien die Vorstellungen der SPD-Landesspitze, die Obergrenzen für die Flüchtlingsaufnahme ablehnt, "realitätsfern". Dies sind nur einige Aussagen von Lutz Trümper, seit 25 Jahren SPD-Mitglied und Oberbürgermeister von Magdeburg - der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. Die Leitung der Sozialdemokraten in diesem ostdeutschen Bundesland, insbesondere die Spitzenkandidatin der SPD für die nächste Landtagswahl im März 2016, soll dem Oberbürgermeister vorgeworfen haben, ihr und der Partei massiv zu schaden. Weil er sich seine kritischen Anmerkungen zur Flüchtlingspolitik der Partei aber nicht verbieten lassen wollte, trat Lutz Trümper aus der SPD aus.

Für große Debatten in der SPD sorgt dieser Fall nicht, ist auf Nachfragen an der Parteibasis in mehreren Bundesländern zu erfahren. Aber der Fall offenbare schon eine Kluft zwischen SPD-Politikern vor Ort und der Parteiführung. Die Mitglieder an der Basis erleben die praktischen Probleme tagtäglich, wenn ankommende Flüchtlinge betreut und untergebracht werden müssen. Viele Parteifreunde fühlen sich allein gelassen und überfordert. Die Parteileitung dagegen, sie versucht alles zu vermeiden, was auch nur ansatzweise als Einschränkung des Asylrechts oder als blanker Populismus aufgefasst werden könnte. Droht eine Spaltung der Partei zur Frage, wie viele Flüchtlinge noch in Deutschland aufgenommen werden können?

Sigmar Gabriel und Angela Merkel sitzen beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt zusammen.(Foto: Reuters)
SPD-Chef Sigmar Gabriel sind in der Regierungskoalition mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) oft die Hände gebundenBild: Reuters/H. Hanschke

Meinungsbild innerhalb der SPD

"Bedenkenträger gibt es natürlich in der Partei", erzählt zum Beispiel Lydia Libutzki aus Rösrath bei Köln. Die Sozialdemokratin setzt sich in der Arbeitsgemeinschaft "Migration und Vielfalt" für einen regen Austausch über Erfahrungen mit Flüchtlingen ein. In der SPD ihres Landkreises seien zum Umgang mit Flüchtlingen alle Meinungen vertreten, die es auch in der Gesellschaft gebe, so Libutzki. Es gebe Parteimitglieder, die eine starke Einschränkung des Flüchtlingsstroms für unausweichlich halten. Es überwiege aber die Hilfsbereitschaft und die Überzeugung, Deutschland habe alleine schon aufgrund seiner historischen Vergangenheit eine besondere Verpflichtung gegenüber Flüchtlingen und müsse helfen.

Sven Ambrosy, SPD-Landrat im Kreis Friesland, hat für Parteidiskussionen gar keine Zeit. Ihm gehe es wie vielen seiner Parteigenossen: "Wir sind mit Problemlösungen vollauf beschäftigt." Den Parteiaustritt des Magdeburger Oberbürgermeisters will er gar nicht kommentieren, wird aber generell deutlich: "Wer jetzt zaudert, der demoralisiert. So etwas können wir nicht gebrauchen!"

Lüneburgs langjähriger SPD-Oberbürgermeister Ulrich Mädge hat sich in der Vergangenheit auch kritisch gegenüber der offiziellen SPD-Linie in der Flüchtlingspolitik geäußert. So forderte er im Gespräch mit der Deutschen Welle wiederholt Transitzonen für Flüchtlinge an den Grenzen und eine Begrenzung des Nachzugs von Familienangehörigen. Diese Maßnahmen lehnt die SPD Führung bisher ab.

Ärger mit dem SPD-Vorstand befürchtet Mädge aber nicht. "Ich habe noch keinen bösen Anruf bekommen." In der Partei gebe es zwei Flügel und eine Diskussionskultur. Als Parteimitglieder wie Aziz Bozkurt, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, der Parteispitze vorwarfen, in der Flüchtlingspolitik "kopflos" zu handeln, gab es allerdings heftige Auseinandersetzungen.

Stopp-Schild an Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Bahrenfeld (Foto: Bodo Marks/dpa)
Ein totaler Stopp des Flüchtlingszuzugs ist in der SPD nicht mehrheitsfähig.Bild: picture-alliance/dpa/B. Marks

Nachdenken in der Parteiführung

Der Druck von SPD-Politikern in Kommunen, die sich an den Grenzen ihrer Belastung angekommen sehen, wächst. Diejenigen, die mit der Aufnahme von zugeteilten Flüchtlingen noch klarkommen, sind dabei entspannter als diejenigen, in deren Stadt gar nichts mehr geht. Insofern ist offen, ob die Zahl der SPD-Politiker zugenommen hat, die eindeutige Aufnahme-Obergrenzen fordern. Ein leichter Kursschwenk scheint aber in Gang gekommen zu sein - hin zur Reduzierung.

Der Chef der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, sprach sich für eine Begrenzung des Flüchtlingszuzugs aus. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi forderte, die Asylverfahren zu beschleunigen. Das Grundrecht auf Asyl wollen aber beide nicht antasten.

SPD-Ministerpräsidenten diskutieren inzwischen, wie die Zuwanderung begrenzt werden kann, ohne eine Ablehnungshaltung zu betonen.

SPD-Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel erklärte öffentlich, man müsse bereits im nächsten Jahr eine Verringerung der Flüchtlingszahlen erreichen. Deutschland komme an die Grenze seiner Möglichkeiten. Konkrete Grenzen nennt Gabriel aber nicht. Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz befürwortete "schnellere und unbürokratische Entscheidungen" und kann sich auch Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge vorstellen, die keine Aussichten auf einen Verbleib in Deutschland hätten. Dazu würden viele Flüchtlinge aus dem Westbalkan zählen.

Ehrliche Debatte

Widerspruch kommt vom linken Parteiflügel. Hier stehe man zur vorbehaltlosen Flüchtlingsaufnahme. Das Grundgesetz dürfe auf keinen Fall geändert werden. Als asylberechtigt werden ohnehin nur zwei Prozent der Flüchtlinge anerkannt. Jetzt zeichnet sich eine Partei-Initiative ab, die die mehr als 40 gesetzlichen Möglichkeiten, so genannte Titel im Asylrecht, auf wenige Tatbestände reduzieren will. Ein humanitäres Bleiberecht soll unbedingt dazugehören. "Wir brauchen ein modernes Ausländerrecht", sagt SPD-Landrat Sven Ambrosy.

Die Diskussion innerhalb der Sozialdemokraten dauert an. Es schwelt der Streit weiter zwischen Partei-Ideologie und rauer Wirklichkeit. "Wir brauchen eine ehrliche Diskussion. Dabei muss man auch unbequeme Wahrheiten aussprechen und die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen", mahnt Ulrich Mädge, der SPD-Oberbürgermeister von Lüneburg. Dass sich die SPD aber zu Obergrenzen des Flüchtlingszuzugs entscheiden würde, sieht Mädge nicht.