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Gesellschaft

Corona macht großzügig

6. Dezember 2020

Weihnachtskollekte, Tombola, Benefiz-Gala - in Corona-Zeiten fallen die traditionellen Spendenaktionen flach. Doch gerade wegen der schwierigen Umstände kommt mehr Geld rein - allerdings nicht für alle.

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Ein Spendenzaun in Berlin-Kreuzberg (Foto vom 24.03.2020)
In Deutschlands Großstädten gibt es seit Corona vielerorts sogenannte Gabenzäune für Menschen in ArmutBild: imago images/epd

Die gute Nachricht zuerst: Die Spendeneinnahmen in Deutschland und Europa nehmen zu. Die schlechte Nachricht: Die Zahl der Menschen, die etwas spenden wollen, nimmt ab. Corona führt dazu, dass weniger Menschen mehr geben.

"Wenn Not da ist - sei es in eigener Sache, sei es, weil andere betroffen sind -, dann wachsen auch das Mitgefühl und die Bereitschaft der Spender, über das normale Maß hinaus etwas draufzusatteln", sagt Burkhard Wilke, Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), im DW-Gespräch. "Ein solche Phase haben wir zweifelsohne in der Corona-Krise."

In der Summe mehr Solidarität

Nach einer DZI-Umfrage unter den 30 größten Spendenorganisationen in Deutschland sind die Einnahmen in den ersten sechs Monaten des Jahres gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 um 11,6 Prozent gestiegen. Das DZI vergibt in Deutschland das Spendensiegel an Hilfsorganisationen, die bereit sind, sich einer Prüfung ihrer Finanzen zu unterziehen, und es legt einmal im Jahr eine Spendenbilanz vor.

Der Trend zu mehr Solidarität zeigt sich auch in europäischen Nachbarländern wie der Schweiz oder Großbritannien. Sowohl die Schweizer Spendensiegel-Organisation Zewo als auch die britische Charities Aid Foundation (CAF) meldeten im November dieses Jahres wachsende Spendeneinnahmen. In Großbritannien lag der Zuwachs sogar bei 15 Prozent.

Infografik Entwicklung der Spenden in Deutschland DE

Bei näherer Betrachtung trübt sich das positive Bild allerdings ein wenig ein. Denn bisher profitieren in erster Linie die Großen - während vor allem kirchliche Hilfswerke sowie viele kleinere Nichtregierungsorganisationen erhebliche Einbußen verkraften müssen. Viele von ihnen werben üblicherweise bei Präsenzveranstaltungen um Spenden - doch die entfallen nun durch Corona.

Ohne persönlichen Kontakt keine Spende 

"Wir rechnen damit, dass die Spenden aus der Weihnachtskollekte, aus der die Hälfte unserer gesamten Einnahmen stammt, um eine zweistellige Millionensumme zurückgehen," schätzt Michael Heinz, Geschäftsführer des bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat. Die Menschen könnten schließlich nicht mehr wie gewohnt zum Gottesdienst gehen. Dieser Einbruch sei auch durch zusätzliche Einnahmen bei allgemeinen Spenden "nicht wettzumachen".

Dabei ist der Bedarf an Spenden und ehrenamtlicher Arbeit gerade jetzt außerordentlich groß. "In den vergangenen acht Monaten sind viele Projektpartner auf uns zugekommen und haben gesagt, wir brauchen Medikamente, Sauerstoffflaschen, Hygieneartikel und sogar Lebensmittel", berichtet Heinz. Deshalb wurden 427 Corona-Notprojekte im Umfang von 7,3 Millionen Euro durchgeführt. 

Ein Spendentaxi bekämpft Armut in Ungarn

Eine DZI-Umfrage unter Hilfsorganisationen Mitte Oktober bestätigt die Entwicklung: Die Hälfte meldete einen gestiegenen Finanzbedarf, 26 Prozent gaben an, dass Projekte eingestellt oder gekürzt werden mussten, und 54 Prozent berichteten, dass sich ihre Projektpartner in einer schwierigen Situation befänden.

Ehrenamtliche Helfer bleiben zuhause

Bei der Projektarbeit geht es nicht nur um finanzielle Unterstützung, sondern auch um ehrenamtlichen Einsatz. So musste im Frühjahr fast die Hälfte der über 950 Tafeln in Deutschland vorübergehend schließen, da 90 Prozent der rund 60.000 Helferinnen und Helfer über 60 Jahre alt sind und damit selbst zur Risikogruppe gehören. Momentan sind die meisten Tafeln wieder geöffnet, allerdings mit Einschränkungen.

Auch die Projektarbeit in Entwicklungsländern wurde durch Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen zeitweise unmöglich gemacht. "Neben den Einbrüchen bei Spendeneinnahmen aus Präsenzveranstaltungen ist das die zweite wesentlichste Auswirkung von Corona", bestätigt DZI-Chef Wilke.

USA bleiben Spendenweltmeister

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der Rückgang der individuellen Spendenbereitschaft. Aus einer am 1. Dezember veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey geht hervor, dass jeder vierte Bewohner in Deutschland in diesem Jahr wegen der Pandemie weniger Geld an soziale und gemeinnützige Organisationen spenden will. 13 Prozent wollen allerdings auch mehr geben.

USA, Dallas, Texas | Coronavirus | Lebensmittel-Spenden für Bedürftige
An an einer Lebensmittelbank in Dallas im US-Bundesstaat Texas verteilen ehrenamtliche Helfer Spenden an BedürftigeBild: Lm Otero/AP Photo/picture alliance

Die Umfrage deutet darauf hin, dass Deutschlands Position beim Thema Spendenbereitschaft im internationalen Vergleich wohl weiterhin unverändert bleibt. Im World Giving Index, der 126 Länder im Zeitraum von 2009 bis 2018 in Hinblick auf Spendenbereitschaft und ehrenamtliches Engagement bewertet, liegt Deutschland auf Rang 18.

Auf Platz eins liegen unangefochten die USA, gefolgt von Myanmar und Neuseeland. Großbritannien (Platz 7), die Niederlande (Platz 8) und die Schweiz (Platz 13) liegen im europäischen Vergleich ebenfalls vor Deutschland.

"Die Ergebnisse zeigen uns, dass es kein Erfolgsrezept für Großzügigkeit gibt", kommentiert der ehemalige CAF-Chef Sir John Low, bei der Vorstellung des Index. Diese sei nicht durch Herkunft, Nationalität, Kultur, Religion oder relativen Wohlstand zu erklären. Sein Fazit: "Mehr Großzügigkeit auf der Welt zu erreichen, bedeutet schlicht harte Arbeit."