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Politik

Streit um Beobachtung der AfD

3. September 2018

Bei den Kundgebungen in Chemnitz traten AfD-Politiker zusammen mit "Pegida"-Mitgliedern auf. Politiker fordern eine Überwachung der Partei. Die AfD-Jugendorganisation wird nun in zwei Bundesländern beobachtet.

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Deutschland Rechte Demo in Chemnitz
Björn Höcke (Mitte), Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag bei der Demonstration von AfD und dem ausländerfeindlichen Bündnis PegidaBild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

In Bremen und Niedersachsen werden die Landesverbände der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" nun durch die Landesverfassungsschutzämter beobachtet, wie die Innenressorts der beiden Länder am Montag mitteilten. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte zur Begründung, es gebe "ideologische und personelle Überschneidungen nicht unerheblicher Art" des AfD-Nachwuchses mit der rechtsextremen "Identitären Bewegung". Diese werde seit 2014 beobachtet.

AfD löst Jugendverbände in Bremen und Niedersachsen auf

Die AfD reagiert prompt:  Der AfD-Bundesverband will wegen der Observierung durch den Verfassungsschutz seine Landesverbände in Niedersachsen und Bremen auflösen. Dies solle "zum Schutze der Gesamtorganisation" während eines außerordentlichen Bundeskongresses der Jugendorganisation der AfD beschlossen werden, teilte der Bundesvorsitzende Damian Lohr am Montag mit. Er nannte die Entscheidungen der Landesämter für Verfassungsschutz nicht nachvollziehbar. "Weder einzelne Landesverbände der JA, noch die Junge Alternative als Ganzes sind verfassungsfeindliche Organisationen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland einsetzen", erklärte er.

Merkel: Entscheidung über Überwachung fällt der Verfassungsschutz

Die Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz ist nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel keine politische Entscheidung. Es gebe die "gute Praxis", dass das von den Verfassungsschutzbehörden entschieden werden, sagte Merkel in Meseberg. "Das sind keine politischen Entscheidungen, sondern das sind Entscheidungen, die auf Tatsachen beruhen." Die nötigen Voraussetzungen würden regelmäßig überprüft, sowohl vom Verfassungsschutz aus Bund wie aus den Ländern, so Merkel weiter.

Deutschland Bundekanzlerin Angela Merkel in Meseberg
Bundekanzlerin Angela MerkelBild: Reuters/F. Bensch

In einigen Bundesländern gebe es ja offenbar Ansatzpunkte für eine Überwachung, sagte Merkel zu den Ankündigungen, dass die AfD-Jugendverbände in Bremen und Niedersachsen beobachtet werden sollen. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) stimmte ihr zu, betonte aber, dass es nach den Ausschreitungen in Chemnitz Anlass für eine neue Überprüfung gebe.

Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht bislang keine Notwendigkeit einer Überwachung. Dass Einzelne oder vielleicht auch Viele lokal anders agieren, erlaubt noch nicht die Beobachtung der gesamten Partei", bekräftigte ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer. FDP-Chef Christian Lindner warf Seehofer in der "Passauer Neuen Presse" vor, mit Schuld an ausländerfeindlichen Auswüchsen zu sein. Auch Politiker von Grünen und Linken warfen Seehofer vor, nicht klar genug Stellung gegen die AfD bezogen zu haben.

Deutschland Bundestag Generaldebatte Christian Lindner
FDP-Politiker Christian Lindner: Kritik am InnenministerBild: Getty Images/AFP/O. Messinger

Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte, die Voraussetzungen für eine solche Beobachtung seien gesetzlich festgeschrieben. Beide Sprecher verwiesen auf Paragraf 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Danach greift eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden bei "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben".

Söder uneins

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder äußerte den Verdacht, die AfD sei nicht nur eine Protestpartei, sondern habe "eine versteckte Agenda". Er glaube, man müsse sich härter aufstellen. Zur Frage der Observierung durch den Verfassungsschutz sagte er: "Einzelpersonen ja, eine generelle Beobachtung dazu reicht es wohl nicht aus."

Zuvor hatte schon Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann gefordert, eine mögliche Kooperation zwischen AfD und Rechtsradikalen vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. "Die Flüchtlingsfrage spaltet die Gesellschaft und die AfD reitet immer radikaler auf dieser Welle", so der SPD-Politiker in einem Interview der "Welt". Deshalb müsse der Verfassungsschutz das "arbeitsteilige Zusammenwirken von AfD und Neonazis" sehr genau beobachten. Die "Hetzjagd" in Chemnitz markiere einen Wendepunkt, sagte Oppermann. "Der Konflikt um die Migrationsfrage soll auf den Straßen ausgetragen werden." Offene, politisch und rassistisch motivierte Gewalt gegen Menschen dürfe der Staat nicht dulden, er müsse darauf mit aller Härte antworten.

 "Die AfD hat sich offen zu rechtem Gedankengut bekannt. Wenn jemand diesen Staat bedroht, muss er beobachtet werden", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.

"AfD lebt von Manipulation der Menschen"

Auch CDU-Parteivize Thomas Strobl bekräftigte seine Forderung nach einem härteren Kurs des Verfassungsschutzes gegenüber der AfD. Strobl sagte der "Augsburger Allgemeinen", die AfD rutsche "ins Rechtsradikale". Die Vorgänge in Chemnitz zeigten noch einmal sehr deutlich, dass der Verfassungsschutz zumindest weiter ein sehr scharfes Auge auf die AfD haben müsse. "Wenn die Voraussetzungen für eine Beobachtung vorliegen, muss freilich ganz schnell gehandelt werden." Sachsens Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) sagte der "Welt", bei der AfD seien namhafte Politiker dabei, die er als "Postfaschisten" bezeichne. "Wir müssen uns aus der Geiselhaft der AfD befreien", forderte er. Ihn interessierten "die Wähler der AfD mehr als diese Partei, die von der Manipulation der Menschen und deren Angst lebt".

Deutschland Thomas Strobl, Landesvorsitzender der CDU Baden-Württemberg
CDU-Parteivize Thomas StroblBild: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod

Meuthen sieht eingeschleuste Provokateure

 AfD-Chef Jörg Meuthen hat unterdessen die Kritik an den rechtsgerichteten Demonstranten in Chemnitz durch Medien und Politik zurückgewiesen. "Ein ganzes Bundesland und seine Menschen werden hier pauschal verunglimpft, weil sich dort ein vernehmlicher und nur zu nachvollziehbarer Unmut über die hereinbrechenden Umstände regt", sagte er am Montag bei seinem Auftritt auf dem Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg. Dass die Menschen auf die Straße gingen und laut vernehmlich, aber friedlich ihren Unmut kundtäten, könne er bestens nachvollziehen. Die AfD schüre keine Ängste, wie unterstellt werde, "sondern diese Ängste haben die Menschen und das bei dieser Regierungskonstellation auch völlig zu Recht. Wir sind die, die das aufgreifen. Das ist Aufgabe von Politik", sagte Meuthen. Meuthen betonte, auch die AfD lehne "die von einigen, tatsächlich sehr wenigen Demonstranten ausgehende Gewalt gegen unschuldige Menschen mit vermutetem Migrationshintergrund komplett" ab. "Ebenso widerlich sind rassistische Beschimpfungen und Hitlergrüße. Ich wüsste ganz gerne mal, wie viele von denen, die das tun, eingeschleuste Provokateure sind."

Deutschland WDR Europa Forum 2018 in Berlin Joerg Meuthen
AfD-Chef Jörg MeuthenBild: Imago/E. Contini

Der sächsische Verfassungsschutz rechnet nicht mit einer baldigen Entscheidung darüber, ob die AfD wegen rechtsextremer Tendenzen beobachtet werden sollte. "Im Augenblick ist es noch viel zu früh, sich überhaupt dazu zu äußern", sagte Sprecher Martin Döring.

Demonstrationen nach Tod eines 35-Jährigen

In Chemnitz war Ende August am Rande des Stadtfestes ein 35-jähriger Deutscher erstochen worden. Zwei mutmaßliche Täter, ein 22-jähriger Iraker und ein 23-jähriger Syrer, sitzen in Untersuchungshaft. Der Vorfall löste zum Teil gewaltsame Demonstrationen aus dem rechten Spektrum aus. Es kam danach zu Angriffen auf ausländisch aussehende Menschen.

cgn/sam (dpa, afp, rtr)