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Politik

Die Türkei und das syrische Puzzle

21. Januar 2018

Mit ihrem Angriff auf Stellungen der syrisch-kurdischen YPG stößt die Türkei westliche Partner vor den Kopf - vor allem die USA. Russland unterstützt die Militäraktionen, weil sie letztlich Assad und Iran nützen.

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Türkei Grenze Syrien Artilleriebeschuß Operation Olivenzweig
Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Der erste Mann der Türkei zeigte sich entschieden: So Gott wolle, werde man die Operation gegen die kurdischen Milizen der YPG im Norden Syriens zügig beenden. "Sie werden fliehen und wir werden sie alle zusammen verjagen", erklärte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Sowohl die PKK als auch die YPG werde man "erledigen".

Die kämpferische Rhetorik entsprach dem entschlossenen Vorgehen des türkischen Militärs. Im Rahmen der so genannten "Operation Olivenzweig" griff die Armee eigenen Angaben zufolge mehr als 150 Stellungen der YPG-Miliz mit Raketen an. Auch Waffenlager seien getroffen worden, so das Militär. Nach kurdischen Quellen wurden mindestens zehn Menschen getötet, unter ihnen auch Zivilisten.

Der Angriff auf die Stellungen der YPG erfolgt in einer Zeit, in der Erdogan innen- und außenpolitisch enorm unter Druck steht. Noch im Dezember hatte er sich in scharfen Worten über den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geäußert, den Erdogan seit Ausbruch des syrischen Aufstands 2011 politisch zu entmachten versucht. "Es ist nicht weiterhin möglich, mit Assad in Syrien fortzufahren", erklärte der Präsident vergangenen Dezember. "Wie sollten wir uns die Zukunft Syriens mit einem Präsidenten vorstellen, der fast eine Million seiner eigenen Bürger ermordet hat?" 

Türkei Präsident  Recep Tayyip Erdogan in  Kutahya
Außenpolitisch in Nöten: Recep Tayyip Erdogan, hier auf einem Kongress der AKP im JanuarBild: picture-alliance/abaca/K. Ozer

Erdogans außenpolitische Nöte

Die scharfen Worte spiegelten nicht zuletzt die politisch prekäre Situation, in der Erdogan sich befinde, schreibt das auf Nahost-Politik spezialisierte Internet-Magazin Al-Monitor. Die Türkei habe in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe außenpolitischer Krisen durchlebt. In allen hätte Erdogan ausgetestet, wie weit er bei diesen Konflikten gehen kann. Nun aber, angesichts der mittelfristig offenbar gesicherten Zukunft Assads, sei Erdogans Image geschwächt. "Darum wendet Ankara seine gesamte Kraft gegen die syrischen Kräfte und bezeichnet Assad, das schwächste Glied in der Kette, als Terroristen", so Al-Monitor. Dieses Manöver wende sich nicht nur gegen den syrischen Präsidenten. Es diene auch dazu, das oft schwierige Verhältnis zu anderen Ländern wieder zu richten.

Gerade im Feldzug gegen die YPG zeigt sich aber, dass die Vielzahl der Konflikte keine einfachen Auswege mehr lässt. Der Feind meines Feindes ist mein Freund - diese Formel geht zumindest mit Blick auf Syrien nicht mehr auf. Denn so einig sich die Türkei mit den USA mit Blick auf Assad ist, so sehr kollidieren beide Staaten doch in ihrer Haltung zu den syrischen Kurden. Washington sieht sie bereits seit längerem als verlässliche Partner im Kampf gegen dschihadistische Organisationen in Syrien. Nun will die Trump-Regierung sie, zusammen mit säkularen Assad-Gegnern, zu einer 30.000 Mann starken Grenzschutztruppe ausbauen, die ein Wiederaufflackern der dschihadistischen Gewalt verhindern soll.

Beschwichtigende Töne der Kurden

Für die Türkei ist dieser Schritt nicht hinnehmbar. Denn in Ankara gelten die YPG-Milizen als terroristische Vereinigung - eine militärische Aufrüstung durch die USA würde sie zu einer etablierten und de facto politisch legitimierten Kraft machen, mit Strahlkraft weit über Syrien hinaus. Zudem hat die YPG im Laufe des Krieges in Syriens den Großteil der syrisch-türkischen Grenze unter ihre Kontrolle gebracht: derzeit rund 700 der insgesamt 900 Kilometer. Hielte sie die Grenze dauerhaft unter ihrer Kontrolle, dann stünde aus Sicht Ankaras ein schwer zu kontrollierender Feind direkt vor der Haustür. 

Türkei beginnt Offensive Operation Afrin in Syrien
Mehr als 150 Militärposten der YPG griff das türkische Militär in Nordwest-Syrien anBild: picture alliance/abaca/Depo Photos

Die Kurden halten diese Befürchtungen der türkischen Regierung für vorgeschoben. "Die Türkei nimmt die neue Grenzschutztruppe nur als Vorwand, um Afrin anzugreifen", sagte YPG-Sprecher Nuri Mahmoud. "Dass wir unsere Kräfte trainieren, ist nichts Neues. Aber von unsere Grenze geht keine Gefahr für die Türkei aus." Mahmoud vermutet, die Türkei wolle nicht nur militärisch gegen die YPG, sondern auch gegen die ihr verbundene säkulare "Partei der Demokratischen Union" vorgehen. "Die türkische Regierung will nicht, dass unser demokratisches Modell in die Region ausstrahlt. Darum versuchte sie uns zunächst mittels eines Stellvertreterkrieges zu bekämpfen. Das ist misslungen. Und nun hat sie entschieden, uns direkt anzugreifen."

Spannungen mit dem Westen 

Durch die Militäraktionen bringt das NATO-Mitglied Türkei westliche Staaten gegen sich auf. Frankreich forderte bereits eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian twitterte, er habe mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu gesprochen und einen umfassenden Waffenstillstand und bedingungslosen Zugang für humanitäre Hilfe gefordert. 

Die USA halten an der Unterstützung für die YPG fest, denn damit verfolgen sie auch ein weiteres politisches Ziel: Sie wollen den Einfluss des Iran in Syrien eindämmen. Diesen Part dürften in der Grenzschutztruppe vor allem die gemäßigten Assad-Gegner übernehmen. US-Außenminister Rex Tillerson erklärte Mitte vergangener Woche: "Der [iranische] Traum von einem Ausbau eines Bogens in Richtung Norden darf nicht verwirklicht werden."

Moskau unterstützt Ankaras Vorgehen

Russland wiederum hat der türkischen Offensive gegen die YPG zugestimmt, denn es ist zusammen mit Iran wichtigster Schutzpatron Assads. Darum hat es kein Interesse daran, dass der iranische Einfluss in Syrien zurückgedrängt wird. 

Die Bruchlinien und Konflikte überlagern sich. Militärisch, scheint es, sind sie nicht mehr zu lösen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika