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Transatlantisches Justiz-Gerangel

Jochen Vock/jf/arn12. Juni 2002

Die deutsche Regierung hat den USA uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus zugesagt. Doch für die Justiz setzt das Verbot der Todesstrafe in Deutschland Grenzen - zum Beispiel im "Fall Moussaoui".

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Zacarias Moussaoui im Gericht(Illustration)Bild: AP

Der "20. Mann" steht vor Gericht: Am vergangenen Samstag (8. Juni 2002) leiteten die amerikanischen Ermittlungsbehörden ein umfangreiches Aktenpaket an die Anklage des Bezirksgerichts in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia, weiter. Auf der Basis dieses Materials soll Zacarias Moussaoui, ein Franzose marokkanischer Herkunft, verurteilt werden. Ihm wird vorgeworfen, an den Vorbereitungen der Anschläge vom 11. September 2001 mitgewirkt und enge Kontakte zu einer Hamburger Terrorzelle unterhalten zu haben.

Der Stellvertreter

Moussaoui sollte offenbar als fünfter Mann die Maschine der United Airlines entführen, die am 11. September in Pennsylvania abstürzte. Dieses Flugzeug war von vier Entführern gekapert worden, während in den übrigen drei Maschinen jeweils fünf Terroristen an Bord gingen. Moussaioui wurde bereits am 16. August 2001, also ein Monat vor den Anschlägen, in den USA verhaftet, als er sich um eine Pilotenausbildung bemühte.

Moussaoui wird nun quasi anstelle seiner mutmaßlichen Mittäter der Prozess gemacht - und ihm droht in den USA die Todesstrafe. Dies stellt die internationale Zusammenarbeit der Justizbehörden vor große Probleme. Denn auch die deutschen Ermittler könnten wichtiges Material zu dem Prozess beitragen. In Frankfurt am Main wurden Belege zur Finanzierung der Pilotenausbildung gefunden. Wie das deutsche Bundesjustizministerium bestätigte, bitten die US-Behörden ihre deutschen Kollegen um die Übergabe dieser Beweismittel.

"Rechtshilfe" ja oder nein?

Um die so genannte "Rechtshilfe" deutscher Behörden für die amerikanischen Fahnder wird nun schon seit geraumer Zeit verhandelt. Rechtsexperten streiten sich darüber, ob die Weiterleitung der Unterlagen nach deutschem Recht erlaubt ist oder nicht.

"Die zuständigen Behörden müssen sehr sorgfältig prüfen, ob die Rechtshilfe in diesem Fall unzulässig ist - weil das Verbot der Todesstrafe zu den tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung gehört", gibt Christian Tomuschat, der Vorsitzende der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, zu bedenken. Eindeutig verboten wäre die Auslieferung eines Verdächtigen, wenn ihm in dem anderen Land die Todesstrafe droht, betont Tomuschat.

Todesstrafe als Hinderungsgrund

In der Rechtssprechung ist aber durchaus auch die gegenteilige Auffassung zu finden, wie der Völkerrechtler Andreas Paulus erklärt: "Bisher waren die Oberlandesgerichte überwiegend der Meinung, dass die drohende Todesstrafe es nicht rechtfertigt, Rechtshilfe zu verweigern." Allerdings sei ein Wandel dieser Auffassung im Gange.

Die widerstreitenden Meinungen blieben wohl ein akademischer Streit, wäre da nicht die Anfrage der Amerikaner im "Fall Moussaoui". Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vom 10. Juni 2002 blockiert die Bundesregierung das Ersuchen der USA seit August vergangenen Jahres - aus Angst vor einem Todesurteil gegen Moussaoui. Damit entspräche sie einer gängigen Praxis der europäischen Länder.

Europaweite Rechtspraxis

Aus Europa darf generell kein Verdächtiger in ein Land ausgeliefert werden, in dem ihm die Todesstrafe droht. Dasselbe gilt auch für die Herausgabe von Beweismitteln. Die Regierungen versuchen in solchen Fällen, von den jeweiligen Ländern die Zusage zu bekommen, dass auf eine Hinrichtung verzichtet wird - im Falle der USA scheiterte dieses Unterfangen.

Durch die Terrorismus-Bekämpfung gerät diese Rechtspraxis in das Rampenlicht der internationalen Politik. Völkerrechtler Tomuschat wehrt sich gegen eine Aushöhlung der Kooperationsverweigerung: "Ich glaube nicht, dass man mit dem Schlagwort 'Terrorismus' alle rechtsstaatlichen Garantien außer Kraft setzen kann. Ich glaube, dass gerade im Kampf gegen den Terrorismus der Rechtsstaat sich bewähren muss."