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PolitikEuropa

Aktuell: Kiew will Panzer vom Kanzler

14. Juni 2022

Ein Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew steht offiziell noch gar nicht fest, doch Präsident Selenskyj macht schon mal klar: Es kann dabei nur um ein einziges Thema gehen. Unser Überblick.

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Ukraine | Ukrainische Soldaten manövrieren einen Panzer im Gebiet Donezk
Ukrainische Soldaten manövrieren einen Panzer im Gebiet DonezkBild: Bernat Armangue/AP/picture alliance

Selenskyj fordert klare Entscheidung von Scholz

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj fordert von Scholz eine eindeutige Positionierung
  • Kriegsziel: Rückeroberung der Krim
  • Sämtliche Brücken in Sjewjerodonezk zerstört
  • Ukraine büßt ein Viertel ihrer Äcker ein
  • Separatisten in Donezk unter heftigem Beschuss

"Wir brauchen von Kanzler (Olaf) Scholz die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstützt. Er und seine Regierung müssen sich entscheiden", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im ZDF-"heute-journal". Er beklagte die Zögerlichkeit Deutschlands bei Waffenlieferungen und brachte erneut die Lieferung moderner Luftabwehrsysteme ins Spiel. Seit der russischen Invasion im Februar seien ukrainische Städte von gut 2600 feindlichen Raketen getroffen worden, sagte Selenskyj. "Das sind Leben, die hätten gerettet werden können, Tragödien, die hätten verhindert werden können - wenn die Ukraine erhört worden wäre."

Ein Präsidentenberater in Kiew hat den militärischen Bedarf insgesamt auf 1000 schwere Artilleriegeschütze (Haubitzen), 300 Mehrfachraketenwerfer, 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge und 1000 Drohnen beziffert. Nach Angaben der stellvertretenden Verteidigungsministerin Anna Maljar hat die Ukraine vom Westen erst rund zehn Prozent der von ihr angeforderten Waffen erhalten. Die schleppenden Waffenlieferungen müssten beschleunigt werden, sagte sie im ukrainischen Fernsehen. Ähnlich äußerte sich auch der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Er forderte von Scholz die Zusage von Leopard-Kampfpanzern und Marder-Schützenpanzern.

Scholz zeigt sich verärgert

Der Kanzler weist den Vorwurf der Zögerlichkeit zurück. Für die teils sehr modernen und komplizierten Waffensysteme sei eine Ausbildung für die ukrainischen Streitkräfte erforderlich, sagte Scholz. "Es geht um richtig schweres Gerät. Das muss man benutzen können, dafür muss man trainiert werden, das findet in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig statt." Alle versprochenen Waffen würden geliefert. Auch auf die Kritik am Tempo reagierte Scholz verärgert: "Ich glaube, dass es wirklich eine gute Sache wäre, wenn der eine oder andere noch mal kurz überlegt, bevor er seine Meinung zu dem einen oder anderen Thema äußert." 

Scholz: Werden angekündigte Waffen liefern

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigte Scholz gegen die jüngste Kritik aus Kiew. Deutschland stehe "fest an der Seite der Ukraine, des Volkes, das überfallen worden ist durch Russland, betonte Steinmeier am Dienstag während eines Besuchs in Singapur. Der Bundespräsident riet dazu, erst einmal den im Raum stehenden Besuch von Scholz in Kiew abzuwarten. "Dann
wird man im unmittelbaren Gespräch möglicherweise zu einer etwas anderen Sichtweise auch in der Ukraine kommen können."

Selenskyj verspricht Rückeroberung der Krim

Präsident Selenskyj hat seinen Landsleuten eine Rückeroberung der von Russland annektierten Halbinsel Krim versprochen. "Die ukrainische Flagge wird wieder über Jalta und Sudak, über Dschankoj und Jewpatorija wehen", sagte er in seiner täglichen Videobotschaft. "Natürlich werden wir auch unsere Krim befreien." Selenskyj hat immer eine Rückkehr der Halbinsel verfochten, dies aber selten so nachdrücklich als Kriegsziel formuliert.

Infografik/Karte - Strategische Bedeutung Mariupols - DE

Russland hatte die Halbinsel im Schwarzen Meer 2014 militärisch besetzt, als die Ukraine nach einem Machtwechsel geschwächt war und keinen Widerstand leisten konnte. Dann wurde ein international nicht anerkanntes Referendum abgehalten und die Krim Russland angegliedert.

Sjewjerodonezk von der Außenwelt abgeschnitten

Die seit Wochen umkämpfte Stadt Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine ist nach der Zerstörung der dritten und letzten Brücke über den Fluss Siwerskyj Donezk nahezu vollständig von russischen Truppen eingekreist. "Es ist jetzt leider völlig unmöglich, in die Stadt zu fahren oder etwas in die Stadt zu liefern", sagte Gouverneur Serhij Hajdaj. "Eine Evakuierung ist unmöglich." Nur das ukrainische Militär habe noch einen begrenzten Zugang zur Stadt. "Sie haben die Möglichkeit, Verwundete in Krankenhäuser zu bringen", sagte Hajdaj. "Es ist schwierig, Waffen oder Reserven zu liefern. Schwierig, aber nicht unmöglich."

Sjewjerodonezk unter Beschuss
Sjewjerodonezk unter BeschussBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Laut Bürgermeister Olexander Strjuk spitzt sich die Situation vor allem rund um das örtliche Chemiewerk Asot zu. Auf dem Werksgelände sollen in Bombenschutzkellern rund 550 Zivilisten ausharren. "Gewisse Vorräte konnten ins Asot-Werk geschafft werden," so Strjuk. Zudem leisteten Polizisten und Militärs so gut wie möglich Hilfe. Das Gelände stehe aber unter ständigem Beschuss. 

Russland bietet Evakuierung von Zivilisten an

Wie die russische Agentur Interfax berichtet, will das Moskauer Verteidigungsministerium für Zivilisten auf dem Asot-Gelände am Mittwoch einen mehrstündigen "humanitären Korridor" einrichten, der allerdings nur in Gebiete führen soll, die von russischen Separatisten kontrolliert werden. Gleichzeitig forderte das Ministerium die ukrainischen Kämpfer auf dem Areal dazu auf, ihren "absurden Widerstand" aufzugeben. 

Die Lage in der Asot-Chemiefabrik erinnert an das wochenlang umkämpfte Asow-Stahlwerk in der südukrainischen Stadt Mariupol. Dort hatten sich am 20. Mai die letzten ukrainischen Kämpfer ergeben, nachdem sie sich wochenlang in dem Tunnelsystem des Geländes verschanzt hatten. Auch ukrainische Zivilisten hatten dort lange ausgeharrt.   

Über dem heftig umkämpften Asot-Gelände steigen Rauchschwaden auf
Rauchschwaden über dem heftig umkämpften Asot-GeländeBild: Oleksandr Ratushniak/Reuters

Für Präsident Selenskyj wird die Schlacht um den östlichen Donbass als eine der brutalsten in die europäische Geschichte eingehen. "Für uns ist der Preis für diese Schlacht sehr hoch. Es ist einfach beängstigend", sagte Selenskyj in seiner Videobotschaft. "Wir machen unsere Partner täglich darauf aufmerksam, dass nur eine ausreichende Anzahl moderner Artillerie unseren Vorteil sichern wird."

Ukraine hat ein Viertel ihrer Aussaatfläche verloren

Als international wichtiger Agrarproduzent hat die Ukraine seit dem russischen Angriff rund ein Viertel ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche eingebüßt. In diesem Jahr könne nur noch genug angepflanzt werden, um die Nahrungsmittelsicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten, sagte der stellvertretende ukrainische Landwirtschaftsminister Taras Wyssozkyj. Zumal der Bedarf aufgrund von "Massenvertreibungen" und Abwanderung ins Ausland stark gesunken sei.

Im Libanon wird das Mehl knapp

Die Landwirte würden nicht nur durch den Krieg in ihrer Arbeit behindert. Wegen der Exportblockade gehe auch der Anbau exportorientierter Feldfrüchte zurück, sagte Wyssozkyj. Die Ausfuhr von Getreide über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen ist wegen des Krieges derzeit nicht möglich. Dadurch ist nach Einschätzung der Vereinten Nationen die Nahrungsmittelversorgung insbesondere in ärmeren Ländern bedroht.

Litauen kauft 18 Haubitzen von Frankreich 

Die Haubitzen vom Typ Caesar Markt II würden Litauens Verteidigungskapazitäten "erheblich stärken", erklärte der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas auf Twitter. Frankreich bestätigte die Kaufvereinbarung. Moskaus Einmarsch in die Ukraine hat in Litauen und den anderen kleinen baltischen Staaten die Befürchtung geweckt, Russland könnte auch sie angreifen. 

Das NATO- und EU-Mitglied Litauen rüstet derzeit wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sein Waffenarsenal auf. Die Regierung will ihr Verteidigungsbudget im laufenden Jahr um weitere 300 Millionen Euro aufstocken. 

Separatisten in Donezk melden heftigen ukrainischen Beschuss

Die von Russland gelenkten Separatisten in Donezk haben vom angeblich heftigsten ukrainischen Beschuss auf die Stadt seit Beginn des Krieges berichtet. "Vier Menschen wurden getötet, darunter ein Kind, und 22 weitere Zivilisten wurden bei den Bombardements verletzt", erklärten die pro-russischen Behörden der selbsternannten Volksrepublik Donezk. Unabhängig sind diese Berichte nicht überprüfbar.

Der Führer der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Denis Pushilin
Der Führer der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Denis PushilinBild: YURI KADOBNOV/AFP

Die ukrainische Armee habe die Stadt "in einer beispiellosen Stärke, Intensität und Dauer" beschossen, heißt es weiter. Der Donezker Separatistenführer Denis Puschilin warf den ukrainischen Truppen vor, mit der "Bombardierung von Wohngebieten" "alle Grenzen überschritten" zu haben. Es müssten nun "zusätzliche verbündete Kräfte, auch aus der Russischen Föderation, mobilisiert werden", um Donezk zu verteidigen.

rb/ww/se (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.