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Grenzzaun mit Lücken

Lidija Tomic, Morahalom / sp1. August 2015

In Ungarn gilt ab sofort ein verschärftes Asylrecht. Außerdem lässt die Regierung einen Grenzzaun zu Serbien errichten. Können diese Maßnahmen den Ansturm verzweifelter Flüchtlinge stoppen? Von Lidija Tomic, Morahalom.

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Ungarische Soldaten errichten einen Zaun an der Grenze zu Serbien - Foto: Arpad Kurucz (Getty Images)
Bild: Getty Images/A. Kurucz

Mitten in den dichten Büschen am Rande der Stadt Morahalom steht der erste Abschnitt des Zauns: 150 Meter von geplanten 175 Kilometern. Eigentlich würde man vermuten, dass ein vier Meter hoher Zaun kaum zu übersehen ist, doch tatsächlich ist er relativ gut versteckt. Von der serbischen Seite blickt man auf wenig mehr als dichten grünen Bewuchs.

Für die hungrigen und erschöpften Flüchtlinge, die bei 40 Grad durch sandige Plantagen und Weinberge gelaufen sind, muss das Areal wie eine Oase wirken. Die ganze Gegend ist voll von Gras, Büschen und Bäumen. Ein idealer Platz, um bei einer Rast den nächsten Schritt zu planen. Genau wie es Omar und seine Freunde tun. In der Hoffnung auf etwas Trinkwasser und eine Abkühlung von der stechenden Sonne sind sie einfach dem Schlauch gefolgt, der das nahe gelegene Feld bewässert.

"Wir sind vor drei Wochen aus Syrien aufgebrochen", erzählt Omar. "Mein Zuhause wurde von einer Armeerakete zerstört. Ich wusste nichts anderes zu tun, als mich meinen Freunden auf der Suche nach einem besseren Leben anzuschließen", sagt der 17-Jährige aus Aleppo und fügt hinzu: "Hier werden wir nicht lange bleiben. Wir sind auf dem Weg zur Grenze." Dass er nur fünf Meter von dem ungarischen Grenzzaun entfernt steht, ist ihm nicht klar.

Grenzzaun bei Morahalom - Foto: Lidija Tomic (DW)
Grenzzaun bei Morahalom: Wie in einer OaseBild: DW/D. Milosevic

Unser Gespräch wird von einem mysteriösen Geräusch jäh beendet. Schnell greifen Omar und seine Mitreisenden nach ihrem Gepäck und ziehen weiter. Der Lärm kommt von einem Bulldozer und anderem schweren Gerät, mit dem die ungarischen Soldaten den Boden auf der Zaunbaustelle ebnen.

Lücken im Zaun

Der Zaun - unten Maschendraht oben Stacheldraht - erhebt sich aus dem dichten Buschwerk. Er wirkt bedrohlich - ganz, wie von seinen Erbauern gewünscht. Doch er hat einen Makel: Er steht zweieinhalb Meter hinter der Grenze. Jeder Flüchtling, der den Zaun erreicht, wäre technisch gesehen bereits auf ungarischem Territorium und damit auch im Zuständigkeitsbereich des EU-Landes. Rein rechtlich bedeutet dies, dass der Zaun die asylsuchenden Menschen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan oder jeglichem anderen Land nicht stoppen wird.

"Die Zuwanderer können nicht davon abgehalten werden, Asyl zu beantragen", sagt Aniko Bokonyi, Projektmanagerin des Ungarischen Helsinki Komitees, einer Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte. "Die Polizei und andere Beamte dürfen ihr Gesuch nicht ablehnen, weder am Zaun noch an einem Grenzposten."

Ungarn errichtet Zaun an der Grenze zu Serbien - Foto: Laszlo Balogh (Reuters)
Ungarische Soldaten an der Zaun-Baustelle: 150 Meter von geplanten 175 KilometernBild: Reuters/L. Balogh

Seit März stammen zwischen 60 und 80 Prozent der Asylsuchenden aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder Irak. Ihr Zustrom hat die ungarischen Behörden vor eine Vielzahl neuer Probleme gestellt. Helfen lassen wolle sich die Regierung in Budapest offenbar aber nicht, sagt Bokonyi. Viele Institutionen und Organisationen, die sich um die Flüchtlinge kümmern, erhielten keinerlei Unterstützung von der ungarischen Regierung. Im Gegenteil. In Ungarn beabsichtige man, alle Asylunterkünfte innerhalb der Städte zu schließen und die Geflüchteten in Zelten außerhalb bewohnter Gebiete unterzubringen.

Schnellere Verfahren für immer mehr Flüchtlinge

Ungarns Regierung rechnet damit, dass bis zu 300.000 Migranten in diesem Jahr die Grenzen des Landes erreichen. Das sind mehr als doppelt so viele, wie zuvor geschätzt. Bislang hat die Polizei mehr als 80.000 illegale Grenzüberschreiter aufgegriffen. Das Parlament hat derweil das Asylrecht durch neue Gesetze verschärft. Dazu gehören beispielsweise die Internierung von Migranten in Flüchtlingscamps, eine Beschleunigung der Asylverfahren und die Beschränkung des Rechtsbehelfs.

Früherer Flüchtlingspfad zur serbisch-ungarischen Grenze - Foto: Lidija Tomic (DW)
Früherer Flüchtlingspfad zur Grenze: Täglich Tausend NeuankömmlingeBild: DW/L. Tomic

"Unsere wesentliche Sorge ist, dass mehr als 99 Prozent der Anträge der Asylsuchenden, die über Serbien ins Land kommen, automatisch abgelehnt werden. Ohne weitere Prüfung", kritisiert Menschenrechtlerin Aniko Bokonyi. "Die Behörden entscheiden innerhalb von acht Tagen. Die Migranten haben dann nur drei Tage Zeit, um Berufung einzulegen. Eine Abschiebung ist bereits möglich, während das Verfahren noch läuft."

Derzeit gibt es zwischen 3000 und 4000 Asylsuchende in Ungarn. Im Nachbarland Serbien wollen 55.000 Menschen den Flüchtlingsstatus bekommen. Dem Roten Kreuz zufolge treffen jeden Tag rund 1000 weitere Menschen in Serbien ein. Viele bleiben dort nur für eine gewisse Zeit, um erste Unterstützung zu erhalten und sich von den Strapazen ihrer langen Reise zu erholen. Die meisten wollen weiter nach Deutschland, in die Schweiz oder in skandinavische Länder.

Ein gefährliches Spiel

"Die Polizei hat einige effektive Maßnahmen ergriffen, um die illegale Zuwanderung zwischen der serbisch-ungarischen Grenze zu unterbinden", sagt Radoš Đurović vom serbischen Asylschutzzentrum. Doch die Flüchtlinge würden eben auf ungarischem Territorium aufgegriffen und hätten das Recht, dort Asyl zu beantragen - ganz egal, ob sie legal oder illegal in das Land eingereist seien. "Flüchtlinge sind von der Straftat der illegalen Grenzüberschreitung befreit", sagt Đurović.

Ungarn treibe ein gefährliches Spiel, indem es seine Probleme den Serben überlassen wolle. Die würden wiederum im Zuge ihrer Bemühungen um eine Aufnahme in die Europäische Union ihre eigene Agenda fahren. Der Bau der Grenzanlagen widerspreche der UN-Flüchtlingskonvention, den EU-Asylvorschriften und dem Schengen-Abkommen, sagt Radoš Đurović. "Der Zaun ist keine Lösung."