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Verfrühter Abgesang auf Volksparteien

Angela Göpfert22. September 2005

Trotz anders lautender Rhetorik aus den Parteizentralen: SPD und CDU/CSU sind tatsächlich die großen Verlierer der Bundestagswahl. Doch bedeutet das bereits das Ende der großen Volksparteien?

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Kleine Parteien machten SPD und Union die Wähler abspenstigBild: Fotomontage/AP Graphics/AP/DW

"Small is beautiful." Das war offensichtlich das Motto der deutschen Wähler. Bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag (18.9.2005) mussten Union und SPD deutlich Federn lassen, während die kleinen Parteien starke Stimmenzuwächse verzeichnen konnten. Allein die Union musste 1.100.000 ihrer einstigen Wähler an die FDP abtreten.

Schon wollen viele Beobachter einen europaweiten Trend zum Niedergang der großen Volksparteien ausmachen. Die liberale schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter (Stockholm) glaubt, bei den Europäern "eine Art Luxushaltung" zu erkennen. Die europäischen Länder würden relativ unbedroht dastehen, und die Wähler könnten deshalb ihre Stimme mehr oder weniger ominösen Alternativen schenken, kommentierte die liberale schwedische Tageszeitung am Dienstag (21.9.2005).

"Kein Anlass für Untergangsszenarien"

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Das deutsche Parteiensystem steht kopfBild: dpa

Doch die meisten Politikwissenschaftler wollen nicht in den Chor vom Ende der großen Volksparteien einstimmen. Für Oskar Niedermayer, Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung bei der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), besteht "kein Anlass für Untergangsszenarien". Der Professor für Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin vermag auch keinen europaweiten Trend weg von den großen Volksparteien erkennen, sondern konstatiert eher deutschlandspezifische Faktoren: "Die beiden großen Parteien scheiterten bei ihrem Experiment, die Wähler davon zu überzeugen, dass der Sozialstaat nicht mehr aufrecht zu erhalten ist."

Schafften es aber die großen Parteien in Zukunft, ihre Politikkonzeptionen besser dem Bürger zu vermitteln, sieht Niedermayer durchaus Chancen für ein Comeback von SPD und Union.

Wähler mag keine "Pauschalangebote"

Offensichtlich wurde bei der Bundestagswahl eine uralte Konfliktlinie reaktiviert: Was früher unter dem Namen "Klassenkampf" firmierte, wird heute unter dem Stichwort "Zukunft des Sozialstaats" diskutiert: Ging es einst um den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, streiten sich heute Sozialstaatsverfechter und Befürworter liberaler Marktreformen.

Bildgalerie Nach den Wahlen FDP
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle gehört zu den großen WahlgewinnernBild: AP

Von dieser monothematischen Ausrichtung des Wahlkampfes konnten die kleinen Parteien profitieren. "Dann wählt man eher eine kleine Partei, die sich auf dieses Thema spezialisiert hat und auch extremere Positionen vertritt, als eine große Partei mit ihren Pauschalangeboten", erläutert Martin Morlok, Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Parteienrecht und Parteienforschung. Der Parteienforscher Niedermayer ergänzt: "Die Linkspartei kann im Gegensatz zur SPD das Thema soziale Gerechtigkeit in extremer Reinkultur vertreten."

"Andere Länder Europas nicht so zimperlich"

Radikal sei aber auch die Weigerung der FDP, Gespräche mit der SPD zur Bildung einer Ampel-Koalition zu führen, sagt Niedermayer. Dabei handelt es sich bei den großen Berührungsängsten zwischen rechtem und linkem Lager offenbar um ein typisch deutsches Phänomen. "In anderen Ländern Europas ist man da lockerer und weniger zimperlich", betont der Düsseldorfer Parteienforscher Morlok.

So führte in Belgien bis zur letzten Wahl 2003 Ministerpräsident Guy Verhofstadt eine Ampel-Koalition an. Seit 2003 regiert seine liberale Partei allein mit den Sozialdemokraten. Die Niederländer sind bei der Parteien-Partnersuche ähnlich unaufgeregt: Dort regierten die Sozialdemokraten bis zum Jahr 2002 insgesamt 20 Jahre lang mit den Liberalen.

Deutsche Schützengräben sind besonders tief

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Eine Jamaika-Koalition würde die politischen Lager sprengenBild: dpa - Report

Würden sich die deutschen Parteien an dieser lagerübergreifenden Gesprächs- und Koalitionsbereitschaft ein Vorbild nehmen, könnten sie davon nur profitieren, betonen die Parteienforscher Morlok und Niedermayer unisono. "Durch die Festlegung auf einen Wunschkoalitionspartner engen die Parteien nur unnötig ihre Machtperspektiven ein", sagt Niedermayer. Sein Kollege Morlok spricht sich noch aus einem anderen Grund offen für eine Ampel- oder Jamaika-Koalition aus: "Dann kämen die deutschen Parteien endlich aus ihren ideologischen Schützengräben heraus."