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Verwirrung um neue Corona-Beschränkung

11. Januar 2021

In vielen Bundesländern gilt seit Montag die neue 15-Kilometer-Regel in Corona-Hotspots. Was dürfen die Menschen jetzt noch? Und vor allem wo? In den Ländern droht föderales Chaos.

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Symbolbild Deutschland Essen Lockdown Coronakrise
Bild: Rupert Oberhäuser/picture alliance

Dass die neuen, verschärften Kontaktbeschränkungen wegen des Coronavirus für viele Deutsche eine Zumutung sind, das ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) klar. Noch einmal warb der Minister am Montag im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) um Verständnis: "Ich weiß, dass das schwerfällt", sagte Spahn.

Aber vor allem der private Bereich sei gefordert, um die zur Zeit extrem hohen Infektionszahlen zu senken. "Es macht wenig Sinn, Geschäfte, Schulen, das öffentliche Leben herunterzufahren und zu schließen, wenn gleichzeitig im Privaten Kontakte, zahlreiche Treffen stattfinden." Und für den einen jetzt noch erlaubten Kontakt zu einem Menschen aus einem anderen Haushalt hat Spahn noch einen Tipp parat, der in keiner Verordnung steht: Ein solches Treffen solle möglichst im Freien oder bei geöffnetem Fenster stattfinden.

Wie funktioniert die "Corona-Leine"?

Von diesem Montag an gilt also: Neben den Personen, die im gleichen Haushalt leben, dürfen die Deutschen nur noch eine weitere Person treffen. Eine drastische Beschränkung.

Für große Verwirrung hat eine weitere Regel gesorgt, die von den Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen beschlossen worden war: Wenn in einem Landkreis binnen sieben Tagen mehr als 200 Neuinfektionen mit dem Corona-Virus registriert werden, dann dürfen die Bürger diesen Landkreis oder diese Stadt nur innerhalb eines Radius von höchstens 15 Kilometer verlassen. Wer dennoch solche Regionen mit hohen Inzidenzen verlässt und weiter fährt als die erlaubten 15 Kilometer, muss mit einem Bußgeld rechnen.

In Sachsen gibt es eine solche Regelung schon länger; dort beträgt das Bußgeld 60 Euro. Von der Beschränkung ausgenommen ist, wer triftige Gründe vorbringen kann, diesen Radius dennoch zu überschreiten. Das kann zum Beispiel der Weg zur Arbeit sein oder ein Arztbesuch. Touristische Tagesreisen gehören ausdrücklich nicht dazu.

Merkel: "Sie wissen, was in bestimmten Regionen los war!"

Genau solche Reisen soll die Radius-Verordnung, von einigen Medienvertretern treffend "Corona-Leine" getauft, verhindern. Das machte Merkel in der vergangenen Woche deutlich. Noch zu Jahresbeginn waren viele Menschen zu Tagesausflügen in die Wintersportgebiete in den Alpen oder Mittelgebirgen aufgebrochen. Die Bilder von überfüllten Parkplätzen und Rodelhängen hatten die Politiker aufgeschreckt.

Fahrzeuge parken auf dem Großraumparkplatz vor der Hexenritt-Abfahrt am Wurmberg im Harz.
Zu viele, zu nah beieinander: Deutsche beim Wintersport Bild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

"Sie wissen, was in bestimmten Regionen los war, als es jetzt geschneit hatte, und wie viele Kontakte da entstanden sind. Das muss verhindert werden", erklärte Merkel. Sie machte auf Nachfrage aber auch deutlich: Der Radius beginnt an der Stadtgrenze, nicht an der Wohnadresse oder in der Stadtmitte. Als Beispiel nannte sie Berlin: Es sei nicht möglich, für jeden einzelnen Bürger zu bestimmen, wie weit er sich in der Millionen-Stadt noch bewegen darf. Ob die Kanzlerin dabei im Blick hatte, dass die schon angewandte Regel in Sachsen sehr wohl vom konkreten Wohnort aus misst?

Wie so oft: Die Länder sind zuständig

Wie bei vielen andere Corona-Verordnungen sind auch für die Umsetzung der Radius-Anordnung wieder die Bundesländer zuständig: In Brandenburg etwa sind bereits zwölf Landkreise und drei Städte betroffen. Im Nachbarbundesland Berlin aber will der Senat erst Dienstag entscheiden, wie die Regelung konkret umgesetzt wird. Auf jeden Fall wird es zu Ungerechtigkeiten kommen: Selbst wenn der Inzidenz-Wert in der Hauptstadt auf über 200 steigen sollte, können sich Berliner problemlos sowohl in ihrer großen Stadt bewegen als auch in vielen Gemeinden Brandenburgs. Umgekehrt können Brandenburger in Berlin nur noch einzelne Stadtteile aufsuchen.

In Bayern sind jetzt 28 Landkreise und kreisfreie Städte an die 15-Kilometer-Leine gelegt. Ganz so, wie Merkel es formuliert hatte, gilt dort: Maßgeblich sind die Gemeinde-oder Stadtgrenzen. In vielen Fällen kann es aber auch zu absurd erscheinenden Situationen kommen: Eine Person darf zwar durchaus eine andere in einem Hotspot besuchen - vorausgesetzt der Inzidenz-Wert in seiner Heimatstadt liegt unterhalb der Grenze von 200. Ein Gegenbesuch seiner Kontaktperson aus der Hot-Spot-Gemeinde wäre aber verboten.  

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, verfolgt einen Vortrag beim 15. Bundesdelegiertentag des Bundes Deutscher Kriminalbeamter am 08.11.2017 in Suhl (Thüringen).
Polizeigewerkschaftschef Wendt warnt vor Überforderung der OrdnungshüterBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Polizei kann nur Stichproben machen

Polizei und Ordnungsämter wären allerdings damit überfordert, die Einhaltung der "Corona-Leine" auch nur stichprobenartig zu überprüfen. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, stellte fest: "Mit der Zunahme von Regelungen nimmt die Kontrolldichte ab, weil die Polizei nicht beliebig vermehrbar ist." In Bayern brachte das manchen Politiker auf verwegene Ideen: So schlug der Präsident des Bayerischen Gemeindetages, Uwe Brandl, vor, zur Kontrolle des Radius Bewegungsprofile von Handys auszulesen. So könne man treffsicher feststellen, wo sich die Menschen aufhalten, sagte Brandl dem "Bayrischen Rundfunk."

Brandls Vorschlag rief sofort den Bundesdatenschutzbeauftragten auf den Plan: Ulrich Kelber (SPD) widersprach in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung", es sei falsch, die neue Regel über Handy-Ortung oder gar über die Corona-WarnApp kontrollieren zu wollen. Die Akzeptanz der Warn-App "würde schlagartig sinken und man würde Ressourcen und Zeit vergeuden."

"Alle Unbelehrbaren müssen mit Sanktionen rechnen!"

Auf jeden Fall will Bayern - immer noch stärker von der Pandemie betroffen als viele andere Bundesländer - die neue Regel streng durchsetzen. Wer dagegen verstößt, dem droht ein saftiges Bußgeld von 500 Euro. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte verschärfte Kontrollen an, etwa im Bayrischen Wald: "Alle Unbelehrbaren müssen mit harten Sanktionen und hohen Geldstrafen rechnen", sagte er.

Joachim Herrmann - Bayerischer Innenminister
500 Euro Bußgeld für "Unbelehrbare": Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)Bild: Christof Stache/AFP

In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, ist die 15-Kilometer-Regel in der neuen Corona-Schutzverordnung gar nicht erst enthalten. Die Entscheidung darüber, ob sie gelten soll, liegt bei den Kommunen. Die zögern allerdings, diese Regelung einzuführen. Das gilt zum Beispiel für den Kreis Höxter. Obwohl NRW-Spitzenreiter bei den Corona-Infektionen, wird die "Corona-Leine" in Höxter nicht angewendet.

Im Süden Deutschlands schert gleich das ganze Bundesland Baden-Württemberg aus. Die Stuttgarter Landesregierung teilte lapidar mit, die Anordnung nicht umsetzen zu wollen.

So verärgert viele Deutsche über die neue Verordnung auch sind: In vielen anderen europäischen Ländern geht oder ging es weitaus strenger zu. In Frankreich etwa galt im vergangenen Frühjahr: Spazieren gehen oder Sport treiben war nur innerhalb eines eng begrenzten Radius möglich: Und zwar höchstens eine Stunde pro Tag innerhalb eines Kilometers um die Wohnung herum.