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Wirtschaft und Corona: Ungleich verteiltes Leiden

27. April 2021

Handel und Gastronomie sind seit Monaten im Lockdown, die Industrie hingegen arbeitet. Der Wirtschaftsminister spricht von einer "gespaltenen Konjunktur" und hat trotzdem Anlass zur Freude. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Logistics Container Terminal Tollerort am Hamburger Hafen
Deutschlands Export-Drehscheibe: Es gibt wieder gut zu tun im Hamburger Hafen: Bild: H. Blossey/picture-alliance

In deutschen Innenstädten herrscht Leere. Gastronomie und Hotellerie sind seit sechs Monaten geschlossen, gleiches gilt für Kunst, Unterhaltung und viele andere Bereiche. Abgesehen von Lebensmittelhändlern, Drogeriemärkten und Apotheken sind die meisten Geschäfte geschlossen oder empfangen ein paar wenige Kunden, die einen Termin gemacht haben und einen negativen Corona-Test vorweisen können.

Hoffnung, dass sich das kurzfristig ändern wird, macht Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nicht. "Wir haben erst vor ein paar Tagen die bundesweite Notbremse gezogen, daher ist heute nicht der Tag, um über Öffnungen zu reden", sagte er bei der Vorlage der Konjunkturprognose der Bundesregierung in Berlin. Erst müsse die Infektionswelle gebrochen werden. "Ab dem Sommer, wenn die meisten Menschen ein Impfangebot erhalten haben werden, werden wir deutliche Entlastungen haben."

Die einen leiden, bei anderen läuft es

Es sind keine guten Nachrichten, die der Wirtschaftsminister für alle jene Branchen hat, die seit mehr als einem halben Jahr nicht arbeiten dürfen. Doch so bitter es auch klingt: Im konjunkturellen Gesamtbild spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Die deutsche Wirtschaft wird von der Industrie getragen und vom produzierenden Gewerbe. Dort wurde und wird, abgesehen vom ersten Lockdown im Frühjahr 2020, durchgehend gearbeitet.

Altmaier spricht von einer "gespaltenen Konjunktur". Während die geschlossenen Branchen nur dank milliardenschwerer, staatlicher Unterstützungsleistungen überleben, machen andere gute Geschäfte. In der Industrie gebe es "hohe Auftragseingänge, hohe Geschäfts- und Exporterwartungen", so Altmaier. Das ist vor allem einer wieder anziehenden Weltwirtschaft zu verdanken.

Deutsche Güter weltweit gefragt

Die unerwartet schnelle Belebung in den USA und China führt dazu, dass der Export in diesem Jahr um 9,2 Prozent wachsen dürfte. In der Folge rechnet das Ministerium mit höheren Investitionen in den deutschen Unternehmen. Auch, weil in der Krise vieles zurückgestellt wurde. Hoffnung setzt die Bundesregierung auch in die Baubranche, die aufgrund der weiterhin niedrigen Bauzinsen und der hohen Nachfrage nach Wohnraum weiter boomen dürfte.

Die deutsche Industrie ist in der Pandemie eine Konjunkturstütze - hier bei der Stahlproduktion bei Thyssenkrupp in Duisburg
Die deutsche Industrie ist in der Pandemie eine Konjunkturstütze - hier bei der Stahlproduktion bei Thyssenkrupp in DuisburgBild: Laci Perenyi/picture alliance

Diese positive Entwicklung hat Einfluss auf die Konjunkturprognose. Ging der Minister im Januar noch davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr lediglich um drei Prozent wachsen werde, nennt er jetzt 3,5 Prozent. 2022 sollen es 3,7 Prozent sein. Vorausgesetzt natürlich, dass vor allem die Impfkampagne gut läuft und nicht durch resistente Virusmutanten einen Rückschlag erleidet oder gar zunichte gemacht wird.

Trendumkehr noch in diesem Jahr

Ungemach droht auchdurch Lieferengpässe, wie sie derzeit vor allem in der Halbleiterbranche zu beobachten sind. In Deutschland betrifft das unter anderem die Automobilbranche, wo stillstehende Bänder und Kurzarbeit die Folgen sind.

Doch von zusätzlichen Problemen will sich Peter Altmaier den Konjunkturausblick nicht vermiesen lassen. Der ohnehin grundsätzlich optimistische Politiker blickt mehr als positiv in die Zukunft: "Dieses Jahr ist das Jahr, in dem wir die Trendwende endgültig schaffen. Wir werden den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern wir werden ihn umkehren. Wir haben spätestens 2022 wieder die alte wirtschaftliche Stärke erreicht", verspricht er. Wenn es so weiterlaufe, "möglicherweise auch etwas früher".

Werden die staatlichen Hilfen verlängert?

Für die im Lockdown befindlichen Branchen gilt dieser Optimismus nicht. Selbst wenn sie wieder öffnen können, wird es wohl eine Zeit brauchen, bis sie wieder Fuß gefasst haben. Altmaier geht davon aus, dass die Unternehmen acht bis zehn Monate brauchen, um wieder auf ihre volle Umsatzstärke zu kommen. Das Wirtschaftsministerium verhandelt daher mit dem Finanzministerium über eine Verlängerung der staatlichen Hilfszahlungen. Eigentlich sollen sie Ende Juni auslaufen, Altmaier setzt sich für eine Ausweitung bis Ende des Jahres ein.

Bislang wurden 100 Milliarden Euro Wirtschaftshilfen zur Verfügung gestellt, einschließlich von Krediten. Dazu kommen 36 Milliarden Euro für Kurzarbeitergeld und 15 Milliarden Euro, die seit November als direkte Zuschüsse an kleine Unternehmen und Selbständige gezahlt wurden. Da die Auszahlung der Finanzhilfen zunächst Wochen auf sich warten ließ, wurde außerdem die Pflicht ausgesetzt, eine Insolvenz anzuzeigen.

Mehr Pleiten erwartet, aber keine Welle

Diese Regelung läuft Ende April, also noch in dieser Woche aus und wird nicht verlängert. Der Bundeswirtschaftsminister geht aber nicht davon aus, dass dadurch eine Insolvenzwelle ausgelöst wird. In normalen Jahren zeigen rund 20.000 Unternehmen ihre Zahlungsunfähigkeit an. Führende Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie in diesem Jahr bis zu 7000 zusätzliche Insolvenzen nach sich ziehen könnte.

Deutschland Initiative fordert Steuererleichterungen für Spende unverkaufter Textilware
Nach sechs Monaten im Lockdown müssen immer mehr Geschäfte schließenBild: Martin Wagner/imago images

Was in der Summe untergeht, ist die Betroffenheit einzelner Branchen. Schon jetzt sieht man in den Innenstädten immer mehr Geschäfte, die für immer schließen. Der Chef einer großen deutschen Fitness-Kette geht davon aus, dass ein Drittel der Studios nicht überleben wird. Hunderttausende Restaurants, Hotels, Bars, Clubs und Kinos werden die Pandemie genauso wenig überstehen wie andere Dienstleister, bei denen es nicht ohne enge Kundenkontakte geht.

Handwerker klagen

Wenig Grund für Optimismus sehen auch die Handwerker. Handwerks-Präsident Hans-Peter Wollseifer kritisiert den verengten Blick auf die positive Entwicklung in der Industrie, die nicht über die "nach wie vor schwierige konjunkturelle Lage in Deutschland und auch für viele unserer Handwerksbetriebe hinwegtäuschen" könne.

Die deutsche Binnenkonjunktur sei "weiter tief gezeichnet" von den Folgen der Corona-Pandemie. Viele Betriebe stünden "unverschuldet am Rande ihrer Existenzfähigkeit" und seien "dringend auf weitere finanzielle Unterstützung" angewiesen.