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Brandanschläge von Lübeck immer noch nicht aufgeklärt

Matthias Günther18. Januar 2006

Am 18. Januar 1996 starben bei einem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Lübeck zehn Menschen. Nach etlichen Ermittlungsverfahren mit ungezählten Pannen ist der Fall auch heute noch nicht aufgeklärt.

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Asylbewerber vor dem ausgebrannten Haus in LübeckBild: dpa

Am frühen Morgen um 3.42 Uhr ging der Alarm bei der Lübecker Feuerwehr ein: Das Flüchtlingsheim in der Hafenstraße brannte. Einer der Feuerwehrleute schildert, wie die Menschen an den Fenstern standen, schrieen und dann teilweise sogar sprangen. "Wir haben versucht, sie zu retten, dann geriet das erste Geschoss schlagartig in Brand. Dadurch, dass der hintere Teil nicht befahrbar war, mussten wir von der Straßenseite mit der Leiter arbeiten." Bei diesem Rettungsversuch, bei dem zwei Feuerwehrleute und ein Kind auf der Leiter waren, sei die Leiter dann umgekippt. "Gott sei Dank ist ihnen nichts passiert, allen dreien nicht", erinnert sich der Feuerwehrmann.

38 Bewohner des Heimes kamen mit dem Leben davon. Sie erlitten zum Teil schwere Verletzungen entweder durch das Feuer oder beim Sprung aus dem Fenster. Zehn Menschen starben. Die Bewohner des Heimes kamen unter anderem aus Angola, Zaire, Syrien, Polen oder aus dem Libanon.

Der Verdacht eines ausländerfeindlichen Anschlags wurde nie geklärt

Sofort stellte sich die Frage, ob es sich um einen ausländerfeindlichen Anschlag handelte? Nach den Vorfällen in Solingen, Hoyerswerda und Mölln lag der Verdacht nahe. Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller war entsetzt. Er weinte vor laufenden Kameras.

Und als im Laufe des Tages immer wieder die Frage nach der Brandursache gestellt wurde, reagierte er aufgebracht: "Wenn Ihr heute Nacht da gewesen ward und gesehen habt, wie Menschen einfach geschrieen haben, die runtergesprungen sind und Verwandte drum herum gestanden haben und trauerten, dann könnt Ihr eigentlich nur heulen! Mir ist im Augenblick völlig egal, ob da der ausländerfeindliche Hintergrund ist oder nicht."

Verdächtige aus der rechten Szene

Tatsächlich waren der Polizei während der Löscharbeiten vier junge Männer aus Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern aufgefallen. Sie sollen der rechten Szene angehört haben. Man traute ihnen ein ausländerfeindliches Motiv zu. Drei von ihnen wurden vorläufig festgenommen. Polizeidirektor Winfried Tabarelli erklärte noch am Tag des Brandes, dass man im Dienstgebäude gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft drei Personen vernahm. Konkrete Aussagen, inwieweit sie als Tatverdächtige für das Brandgeschehen in Frage kommen könnten, seien zu dem Zeitpunkt jedoch nicht möglich gewesen, so der Polizeidirektor.

Die jungen Männer aus Grevesmühlen hatten Brandspuren an Augen und Haaren. Die Polizei kam aber zu dem Ergebnis, dass die Verdächtigen für die Zeit, als das Feuer ausbrach, ein Alibi hatten. Sie wurden freigelassen. Aber schon am nächsten Tag gab es einen weiteren Verdächtigen: den libanesischen Bewohner des Heims Safwan Eid.

Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schulz erklärte damals: "Die Ermittlungen haben zum dringenden Tatverdacht gegen einen 21jährigen libanesischen Staatsangehörigen wegen Verdachts des Mordes in zehn vollendeten und in 38 versuchten Fällen sowie der besonders schweren Brandstiftung geführt. Er streitet die Tat und eine Tatbeteiligung ab."

Der Mordvorwurf wurde später fallengelassen: Als es vor dem Lübecker Landgericht zum Prozess kam, wurde Safwan Eid nur noch wegen besonders schwerer Brandstiftung angeklagt. Wichtigster Zeuge der Anklage war ein Rettungssanitäter. Er sagte aus, Safwan Eid habe in der Brandnacht gesagt: "wir waren es". Der Angeklagte behauptete dagegen, er habe gesagt "die waren es" - und damit habe er die Rechtsradikalen gemeint. Protokolle von heimlich abgehörten Gesprächen, die der Angeklagte in der Untersuchungshaft mit Angehörigen führte, wurden als Beweismittel nicht zugelassen. Safwan Eid wurde freigesprochen.

Staatsanwalt Michael Böckenhauer sagt heute rückblickend: "Wir haben uns zu orientieren an der strafprozessualen Wahrheit. Und die richtet sich danach, was nach den Regeln der Strafprozessordnung im Prozess festgestellt worden ist, und danach sind letzte Zweifel an seiner Schuld nicht auszuräumen."

Die Staatsanwaltschaft erreichte vor dem Bundesgerichtshof, dass das Urteil, also der Freispruch, aufgehoben wurde: Der BGH entschied, dass die abgehörten Gespräche sehr wohl als Beweismittel verwendet werden dürften. Aber auch in einem zweiten Verfahren wurde Safwan Eid freigesprochen.

Verschwundene Beweismittel und ungesicherte Spuren

In der Zwischenzeit ermittelten Behörden wieder gegen die vier jungen Männer aus Grevenmühlen. Einer der Jungen aus der rechten Szene legte sogar ein Geständnis ab, widerrief es aber schnell wieder. Wichtige Beweismittel wie die Proben der angesengten Haare verschwanden, andere Spuren waren nie gesichert worden. Die Staatsanwaltschaft wehrt sich heute wie damals gegen den Vorwurf, sie habe gegen die jungen Männer aus Grevesmühlen nicht intensiv genug ermittelt. Die Ermittlungen gegen sie seien mehrmals wieder aufgenommen worden - neue Spuren habe es nicht gegeben, heißt es.

Auch zehn Jahre nach dem verheerenden Brand ist der Fall nicht aufgeklärt. Die Überlebenden der Katastrophe leben heute immer noch in Deutschland, einige haben inzwischen einen deutschen Pass. Sie wohnen nicht mehr in Heimen, sondern haben Wohnungen. Das Asylbewerberheim in Lübeck ist schon vor Jahren abgerissen worden.

An die zehn Toten der Brandnacht vom 18. Januar 1996 erinnert ein Gedenkstein.