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Der lautlose Tod

15. Oktober 2001

Nach den Terroranschlägen gelten Viren, Bakterien und Pilzsporen als als die neuen Schreckgespenster. Doch wie ernst ist die Bedrohung durch Biowaffen wirklich?

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Milzbrand-ErregerBild: AP

"Schicken Sie die Pocken unter die abscheulichen Indianerstämme", schrieb 1763 Sir Jeffrey Amherst, der britische Oberbefehlshaber über Nordamerika, an das an der Westfront von jeder brauchbaren Versorgung abgeschnittene Fort Pitt. Und der Befehl wurde ausgeführt. Als die aufständischen Häuptlinge zu Verhandlungen ins Fort kamen, machte Colonel Bouquet ihnen ein todbringendes Geschenk. Er überreichte ihnen pockenverseuchte Pferdedecken, die er sich aus dem Hospital hatte kommen lassen. Im Gegensatz zu den Briten waren die Indianer nicht immun und wurden in kurzer Zeit von den Viren dahingerafft.

Dies ist nur ein Beispiel aus der langen Geschichte der biologischen Kriegsführung. Im Mittelalter sollen Pestleichen über Stadtmauern geschleudert worden sein, immer wieder wurden Brunnen mit Tierkadavern vergiftet.

Nun ist die Angst vor Biowaffen wieder groß. Mehrere Milzbrandfälle in den USA haben den Verdacht genährt, Terroristen könnten im Besitz von B-Waffen sein. Dazu kommen Gerüchte die die Bevölkerung zusätzlich in Aufregung versetzen. Das CIA will auf Satellitenfotos erkannt haben, dass Bin Laden biologische Waffen an Hunden ausprobiert haben soll. Das Nachrichtenmagazin Newsweek berichtete, Anhänger von Bin Laden hätten versucht in Tschechien Milzbranderreger zu kaufen

Viel Panikmache

Doch Experten warnen vor Panik. "Die Risiken sollten nicht überschätzt werden", sagt Chantal Bismuth, die nach dem ersten Golfkrieg (1980-88) Dutzende Giftgas-Opfer behandelte. Für Angriffe auf Zivilisten seien "Explosionen und Schusswaffen viel effizienter". Allerdings weist das US-Verteidigungsministerium in einer Gefahrenabschätzung daraufhin, dass beispielsweise für die Produktion von Milzbranderregern kein besonders hoher Aufwand nötig sei. Außerdem gehöre es heutzutage weltweit zur Grundausbildung in der Biologie, Mikroorganismen zu kultivieren oder gentechnisch zu verändern, heißt es auf der Webseite des Sunshine Projects, eine deutsch-amerikanische Initiative, die sich mit den Gefahren militärischer Nutzung von Gen- und Biotechnologie befasst. Doch der bloße Besitz tödlicher Bakterien oder Viren reicht nicht aus, um diese auch als Biowaffen großflächig einzusetzen. Selbst wenn es gelänge, große Mengen eines Erregers herzustellen, würde es für einen Angriff nicht ausreichen, den Erreger einfach zu versprühen. Die Bakterien, Viren oder Sporen würden einfach weggeweht, von der Sonne zersetzt oder lagerten sich einfach im Boden ab.

Der Bau einer Biobombe setzt einen erheblichem logistischen Aufwand und technisches Know-How voraus. "So müßen die versprühten Erreger eine ganz bestimmte Partikelgröße aufweisen, damit sie als Aerosol einerseits die nötige Stabilität und Fallgeschwindigkeit aufweisen und andererseits beim Menschen in die Lunge gelangen können, wo sie dann ihre pathogene Wirkung entfachen", sagt Martin Schütz vom Schweizer Labor Spiez. Die Experten sind sich darüber einig, dass solch großflächiger Biowaffeneinsatz nur mit Unterstützung eines Staates möglich ist.

Kein absoluter Schutz

Denkbar ist jedoch ein Angriff auf geschlossene Räume wie beispielsweise U-Bahn-Waggons. Schlimmer als der Angriff selbst könnte jedoch die Panik sein, die dadurch ausgelöst würde, glaubt der Hamburger Biologe Jan van Aaken, Mitbegründer des internationalen Sunshine Projects, Einen absoluten Schutz vor Biowaffen gibt es nach Van Aken nicht. Eng gespannte Frühwarnsysteme aus Biowaffen-Detektoren hält er ebenso unrealistisch wie das ständige Tragen einer Gasmaske. Er fordert stattdessen eine Stärkung der Biowaffen Konvention. 1972 war die Konvention über das Verbot der Herstellung, Lagerung und Entwicklung biologisch-bakteriologischer Waffen unterzeichnet worden, 1975 trat sie in Kraft. Dennoch ist die Konvention für viele nicht mehr als ein "Gentleman´s Agreement" aus der Zeit des Kalten Krieges. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde in Biowaffen nur ein geringes Bedrohungspotential gesehen. In den 70er und 80er Jahren drehte sich alles um die Atomwaffen-Diskussion. Die größte Schwachstelle der Konvention liegt in dem Verzicht auf einen Überwachungsmechanismus, der Kontrollen der Verbote wie etwa bei Chemiewaffen ermöglicht hätte.

Fragwürdige Forschungen

Als Anfang der neunziger Jahre bekannt wurde, dass der Irak nachweislich Biowaffen Programme unterhielt, wurden B-Waffen plötzlich wieder ernst genommen. Saddam Hussein gab gegenüber den Vereinten Nationen an, er habe bis 1995 8,5 Tonnen Milzbrand-Erreger und 19,4 Tonnen Botulin-Gift hergestellt.Nach Schätzungen des amerikanischen Seuchenkontrollzentrums CDC würden 100 Kilogramm-Milzbrand-Sporen, versprüht als Aersol, ausreichen um bis zu drei Millionen Menschen zu infizieren.

Auch die Fortschritte in der Gentechnologie haben das Gefährdungspotential von Biowaffen erheblich vergrößert. Es ist schon längst kein Problem mehr, Gene für tödliche Gifte auf harmlose Darmbakterien zu übertragen oder gegen Antibiotika resistente Mikroorganismen zu züchten. Mit Hilfe der Gentechnik könnten auch "Nachteile" von Biowaffen ausgeschaltet werden. Noch könne Bakterien nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden. Ihre genetischen Anlagen könnten jedoch so manipuliert werden, dass Bakterien nach einer bestimmten Zeit ihre giftige Wirkung verlieren.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen verhandelten die 143 Vertragsstaaten der Konvention in Genf sechs Jahre lang über ein Protokoll zur Stärkung der Biowaffen-Konvention. Im August 2001 wurden diese Bemühungen entscheidend zurückgeworfen, als die USA ihre uneingeschränkte Ablehnung des Protokolls in Genf verkündeten. Kritiker wie van Aken vermuten, dass die USA eigene "fragwürdige Forschungsprojekte vor den Augen der Welt verbergen" wollen. So hätten die USA beispielsweise eine geheime Versuchsanlage zur Produktion tödlicher Bakterien in der Wüste Nevadas errichtet.

Doch selbst bei Fortschreibung des Verbots von Biowaffen, ist eine absolute Kontrolle unmöglich. Die Forschung an B-Waffen ist nämlich janusköpfig. So kann beispielsweise das Botulinus Toxin als potente Waffe eingesetzt werden, andererseits findet es sich unter anderem auch in Anti-Falten-Cremes. Auch für die Entwicklung von Impfstoffen wie beispielsweise gegen Milzbrand ist die Züchtung des Erregers Voraussetzung. So kann die Forschung an Bio-Kampfstoffen immer gerechtfertigt werden.