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Zwei Jahre Deutschland

Kathrin Erdmann22. Juni 2012

Vor zwei Jahren kamen 2500 verfolgte Iraker nach Deutschland. Sie erhielten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und einen Integrationskurs. Eine Familie in Hamburg erzählt, ob sie ein neues Zuhause gefunden hat.

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Die ersten Flüchtlinge aus dem Irak, die Deutschland im Rahmen eines EU-weiten Programms aufgenommen hat, kamen im März 2009 in Deutschland an
Deutschland Irak Flüchtlinge Ankunft in HannoverBild: AP

Lange Satellitenkabel hängen kreuz und quer an dem Backsteingebäude herunter. Seit zwei Jahren wohnt die irakische Familie Hamid in einem ruhigen Hamburger Wohnviertel. Die sechsköpfige Familie teilt sich eine Drei-Zimmer Wohnung, alles ist funktional und sparsam möbliert. Ein riesiger Flachbildschirm dominiert das Wohnzimmer.

Eigentlich heißt Familie Hamid anders, doch sie möchte lieber nicht mit ihrem echten Namen genannt werden. Auch Fotos sollen nicht veröffentlicht werden. 2010 kam die Familie im Rahmen eines EU-weiten Ansiedelungsprogramms nach Deutschland. 2009 wurden die ersten verfolgten Iraker hier aufgenommen, bis Sommer 2010 waren es 2500 irakische Flüchtlinge in Deutschland.

Pässe einer irakischen Flüchtlingsfamilie liegen mit Nummern versehen in der UNHCR-Registrierungsstelle in Damaskus
Pässe einer irakischen FlüchtlingsfamilieBild: picture-alliance/dpa

Im Hausflur poltert es, vor und hinter dem Haus toben Kinder. Die Hamids leben in öffentlicher Unterbringung und ausschließlich unter Ausländern. Die Familie ärgert sich darüber, will sie doch lieber deutsche Nachbarn hätten, um etwas von und über die deutsche Kultur zu lernen.

Termin ist Termin

Noch vor zwei Jahren trödelte Vater Achmad mit seinen vier Kindern und Ehefrau Leyla gern hinter der Betreuerin, die ihnen die deutschen Behörden gegeben hatten, hinterher oder nahm es mit einer Verabredung nicht so genau. "Heute würde ich das nicht mehr machen, denn in Deutschland ist es wichtig pünktlich zu sein", hat er festgestellt. Ihm gefällt, dass Busse und Bahnen regelmäßig kommen. Im Irak sei das ganz anders gewesen. Warum die Familie von dort geflohen ist, möchte er lieber nicht sagen.

Die Deutschen würden ihm und seiner Familie Respekt entgegenbringen und hätten ihm viel geholfen, sagt der Vater. Achmed sitzt im Wohnzimmer der Familie und schlägt die Beine übereinander. Er hat ein einnehmendes, fröhliches Wesen. Manchmal scheint es, als wolle er alles weglachen, denn so zufrieden, wie die Familie auf den ersten Eindruck glauben machen will, ist sie längst nicht in Hamburg im Mai 2012, zwei Jahre nach ihrer Ankunft.

Kaum Kontakt zu Deutschen

Obwohl sie als Flüchtlinge im so genannten Resettlementprogramm sofort arbeiten durften, verdient auch zwei Jahre nach der Ankunft kein Familienmitglied sein eigenes Geld. Haupthindernis ist die Sprache. Zwar haben alle Kurse belegt oder waren in der Schule in besonderen Klassen, aber es fehlt der regelmäßige Kontakt zu Deutschen.

Mutter Leyla, 42 Jahre, hat im Irak als Lehrerin gearbeitet. Ob ihr Examen in Hamburg anerkannt wird? Sie weiß es nicht. Vater Achmad, 44, ist einen Schritt weiter. Im Sommer 2012 wird er eine Ausbildung zum medizinisch-technischen Assistenten beginnen. "Ich werde einen Beruf erlernen, den ich im Irak bereits 18 Jahre ausgeübt habe, doch mein Abschluss zählt hier nicht", erzählt er, und versucht dabei so verständnisvoll wie möglich zu gucken, doch seine Enttäuschung ist unübersehbar. "Ich möchte so schnell wie möglich wieder in meinem Beruf arbeiten, denn ich bringe viel Erfahrung mit", sagt er.

Arbeiten statt zu lernen

Auch die Kinder müssen Abstriche machen. Die älteste Tochter Sarah brachte vor zwei Jahren ihr Abiturzeugnis aus dem Irak mit, sie wollte Anwältin werden. Dort hätte sie damit zur Universität gehen können. Jetzt hat sie gerade den Hauptschulabschluss geschafft, für einenStudienzugang reicht das in Deutschland nicht. Gern würde Sarah wenigstens den nächsthöheren Realschulabschluss machen, aber dagegen hat die Agentur für Arbeit, von der die Familie finanzielle Unterstützung erhält, Einwände. "Ich bin 22 Jahre alt und soll jetzt arbeiten und nicht mehr lernen, haben sie gesagt", berichtet sie frustriert.

Ihre kleine Schwester Nora, 19, möchte Ärztin werden, doch erst jetzt könnte sie in die Oberstufe der Schule wechseln, um den nötigen Abiturabsschluss zu machen. Der 18 Jahre alte Omar versucht sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Eigentlich will er Automechaniker werden, doch dazu bräuchte er einen Realschulabschluss. Weil ihm der fehlt, sucht er jetzt einen Ausbildungsplatz in einer Bäckerei, wofür dieser Schulabschluss nicht nötig ist. Alle Türen offen stehen nur dem kleinsten Sohn Amir, der noch in den Kindergarten geht.

Mittendrin und doch fremd

Der kleine irakische Junge Diamon Waad sitzt in einem Übergangswohnheim für irakische Flüchtlinge (März 2009)
Ein irakischer Junge sitzt in einem Übergangswohnheim für irakische Flüchtlinge in München (März 2009)Bild: AP

Anders als seine beiden Schwestern hat Omar einen gemischten Freundeskreis aus Zuwanderern und Deutschen. Mit seinen Freunden geht der großgewachsene, muskulöse Jugendliche am Wochenende ins Kino oder zum Boxtraining. Zuhause fühlt er sich sichtlich unwohl, denn er hat keinen Raum für sich. Schon vor zwei Jahren war er unglücklich, weil er im Wohnzimmer auf dem Fußboden schlafen musste. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Wohnung ist zu klein für die vier Kinder und zwei Erwachsenen. Im Irak lebte die Familie in einem großen Haus.

Einmal hat Omar seinen Geburtstag mit Freunden in der Wohnung gefeiert, doch sonst bringt er niemanden mit nach Hause. Es gibt keinen Platz für Intimität, mit einer Freundin ist es da schwierig, auch wenn Omar gern ein deutsches Mädchen kennenlernen würde.

Töchter mit traditioneller Frauenrolle

Seine Schwestern Sarah und Nora sind noch stärker in ihrer Frauenrolle, wie sie sie aus dem Irak kennen, verhaftet: Eine Discothek besuchen sie nie, sie gehen nur mit den Eltern spazieren oder einkaufen. "Abends rauszugehen, das ist nicht Teil unserer Kultur", sagt Sarah, obwohl Vater Achmad versichert, er habe im Grunde nichts dagegen.

Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland ist die irakischen Familie Hamid ein wenig ernüchtert. Noch immer sind alle froh, in Sicherheit und ohne Angst leben zu können. Doch sie wollen auf eigenen Füßen stehen, eine eigene Wohnung haben, eigenes Geld verdienen. Der Weg dorthin ist länger als erwartet.