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Fokus Europa

8. Januar 2009

Russland hat die Gaslieferungen über die Ukraine gestoppt - nun betrifft der Gas-Streit auch spürbar Europa: In Serbien frieren beispielsweise mehr als 100.000 Menschen. Im Interview ist dazu Bernd Posselt.

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(dpa/11.05.2008)
Bernd Posselt fordert die EU auf, geschlossen aufzutretenBild: picture-alliance/ dpa

Fokus Europa: Bis heute haben die meisten Europäer den Gas-Streit als interne Sache zwischen Russland und der Ukraine bezeichnet. Sie sehen das nicht so?

Bernd Posselt: Das ist eine absolute Verharmlosung der Angelegenheit. Russland setzt seit Jahren systematisch die Energiepolitik ein für Erpressung und für Versuche, die alte Interessenssphäre der Sowjetunion wieder herzustellen. Das wird sehr deutlich derzeit und es ist keine energiepolitische Angelegenheit.

Welches Interesse sollte Russland denn haben, den Europäern gezielt das Gas abzudrehen? Sie verspielen doch ihr Ansehen als verlässliche Lieferanten.

Werksgelände von E.On(6.1.2009/AP)
Auch in Deutschland spürt man die Auswirkungen des Gas-StreitsBild: AP

Das ist ein typisch westliches Denken, das Denken mit dem Ansehen als zuverlässige Lieferanten. In Russland denkt man anderes: Man denkt in Kategorien des Drohens. Und wenn man gesehen hat, wie perfekt Herr Putin die Fernsehshow inszeniert hat, in der er dem „Gazprom“-Chef gesagt hat: ‚Schalten Sie ab.’ - und das wird übertragen in alle Länder -, dann sieht man doch ganz deutlich: Hier geht es um massive Propaganda im Dienste eines Dominanzstrebens, das zweifellos vorhanden ist.

Sie fordern, die EU solle energischer auf den Lieferstopp aus Russland reagieren. Wie sollte sie das denn tun?

Das ist eine Glaubwürdigkeits-Frage, vor allem gegenüber den neuen Mitgliedern aus Mittel- und Osteuropa und vor allem gegenüber denen aus dem Südosten, denen jetzt der Hahn abgedreht worden ist. Die EU hat mehr Einwohner als die USA und Russland zusammen und die EU muss eben auch lernen, sich außenpolitisch durchzusetzen. Das kann sie aber nur, wenn sie absolut geschlossen ist. Die Russen verstehen nur eine klare und deutliche Sprache und Geschlossenheit. Wenn Sie russische Publikationen sehen, dann spüren Sie, dass die die EU als solche noch gar nicht wahrnehmen als Macht und als Faktor.

Und Sie sehen diese Geschlossenheit auch im aktuellen Gasstreit nicht?

Ich sehe sie noch nicht. Diese Geschlossenheit muss so rasch wie möglich herbeigeführt werden und es muss so etwas geben wie eine Energie-Außenpolitik. Das Europäische Parlament hat ja dazu einen Strategiebericht verabschiedet und schon vor Monaten auch die Ernennung eines eigenen Beauftragten für Energie-Außenpolitik gefordert. Leider ist noch nichts passiert. Wir dürfen uns hier nicht zersplittern, sondern müssen mit einer Stimme sprechen, wenn wir uns durchsetzen wollen.

(2.1.09/dpa)
Russland denke in Kategorien des Drohens, sagt PosseltBild: picture-alliance/ dpa/ DW Montage


Energie ist ein kritisches Thema – da will ja eigentlich jedes Land seine eigenen Interessen durchsetzen. Sehen Sie, dass sich das jetzt ändert, dass Ihre Forderungen erfüllt werden?

Die nationale Souveränität ist eine Schein-Souveränität. Die einzelnen Länder sind überhaupt nicht handlungsfähig. Wir brauchen einfach einen Drei-Punkte-Plan: erstens eine Eindämmungs-Strategie gegenüber dem immer aggressiveren russischen Nationalismus. Zweitens eine Unabhängigkeits-Strategie, was die Energieerzeugung betrifft. Und drittens eine massive Unterstützung der Ukraine, wo es ja riesige Anbauflächen für nachwachsende Rohstoffe gibt, die gar nicht genutzt werden. Das war einmal die Kornkammer Europas, da könnte man riesigen Vorräte von nachwachsenden Rohstoffen anlegen und sich damit von der Abhängigkeit von Russland ein Stück weit befreien.

Bleiben wir bei Punkt Eins: Abschottung gegen Nationalismus in Russland. Wie soll das denn passieren? Zum Beispiel indem man die Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland wieder abbricht oder was würden Sie vorschlagen?

Man muss auch darüber nachdenken und man sollte auch ernsthaft drüber nachdenken, ob man weiterhin für die Ostsee-Pipeline eintreten kann. Ich weiß, dass manche meinen, dass man erst recht die Ostsee-Pipeline vorantreiben solle. Aber diese russische Erpressungspolitik, wenn sie in dieser Frage erfolgreich sein sollte, wird weitere Erpressungen nach sich ziehen. Und kein einziger EU-Mitgliedsstaat außer Deutschland, der an der Ostsee liegt, sagt ja zu dieser Ostsee-Pipeline.

Bernd Posselt ist außenpolitischer Sprecher der CSU im Europaparlament.