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Politik

Das Verschwinden von Bagdads Partykönig

Florian Neuhof
30. Dezember 2020

Die Verschleppung eines erfolgreichen Partyplaners zeigt, mit welcher Härte irakische Milizen gegen Andersdenkende vorgehen. Ihr Einfluss wächst und lässt die Träume der Jugend platzen.

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Arshad Fakhry
Der Partykönig von Bagdad: Arshad FakhryBild: Privat

Es ist Freitagabend kurz nach 22 Uhr und die Party läuft glänzend. Hunderte junger Männer und Frauen sind in das mondäne Ishtar-Hotel in Bagdad gekommen. Sie lassen die staubige, schmutzige Stadt hinter sich und kommen rings um einen eleganten Außenpool zusammen. Die Gäste nippen an alkoholfreien Getränken und reden laut, um die Musik zu übertönen, die aus der Soundanlage schallt. Doch das Geplauder verstummt abrupt, als eine Gruppe Männer mit Sturmgewehren auf die Terrasse stürmt.

Ohne Erklärung verhaften die Männer etwa ein Dutzend Partygäste und schleppen sie mit sich. Unter den Verhafteten ist auch Arshad Fakhry. Der 31-Jährige hat die Poolparty organisiert. Er genießt den Ruf als Bagdads Partykönig.

Familie sucht verzweifelt nach Fakhry

Fast alle Gefangenen kommen auf der Straße vor dem Hotel wieder frei. Nur Fakhry und ein anderer Mann - der Neffe eines Regierungsministers - werden in ein Auto verfrachtet und weggefahren. Nach Angaben von Arshad Fakhrys Bruder Amjad wird der Neffe des Ministers zwei Tage später freigelassen und mit verbundenen Augen in das Büro seines Onkels gebracht. Fakhry, der keine mächtigen Verwandten hat, verschwindet spurlos.

Irak Bagdad Übersicht
Das Ishtar-Hotel ist eines der höchsten Gebäude BagdadsBild: Patrick Baz/Getty Images/AFP

Fakhrys Familie versucht verzweifelt herauszufinden, was nach seiner Entführung am 20. November passiert ist. Seit Wochen bittet sie Regierungsbeamte um Informationen und versucht mit einem Netzwerk von Verwandten und Freunden in Bagdad weiterzukommen. Doch ihre Bemühungen stoßen auf eine Mauer des Schweigens.

Im Irak gehört das gewaltsame Verschleppen von Menschen beinahe zur Tagesordnung. Hinter den meisten Entführungen stecken schattenhafte Milizen, die unter dem Namen Al-Hashd ash-Shabi bekannt sind. Sie haben die Macht und den Einfluss, fast jeden verschwinden zu lassen. Damit schüren sie die Art von Angst, die Menschen davon abhält, ihre Meinung zu sagen.

Milizen sind offiziell der Regierung unterstellt

"Uns wurde gesagt, dass er nicht beim Geheimdienst ist. Gestern habe ich von einem Verwandten gehört, dass er möglicherweise von der Hashd-Gruppierung festgehalten wird. Aber wir wissen es nicht mit Sicherheit. Wir wissen nicht einmal, ob er lebt oder tot ist", sagt Amjad.

Iraks Premierminister Mustafa al-Kadhimi versprach Anfang des Jahres, gegen die Verschleppungen vorzugehen. Doch Fakhrys Entführung zeigt, dass sich die Situation seitdem offenbar nicht verbessert hat - auch wenn die Milizen von Al-Hashd ash-Shabi offiziell zu den irakischen Sicherheitskräften gehören.

"In Wahrheit hat der irakische Premierminister die meisten der ihm auf dem Papier unterstellten Kräfte nicht wirklich unter Kontrolle - dazu gehören auch die Volksmobilisierungseinheiten", sagt Belkis Wille. Sie ist die leitende Krisen- und Konfliktforscherin bei Human Rights Watch.

Milizen kämpften einst gegen den IS

Al-Hashd ash-Shabi, von westlichen Beobachtern auch Volksmobilisierungseinheiten genannt, sind ein Zusammenschluss aus fast ausschließlich schiitischen Milizen. Während des Krieges gegen den Islamischen Staat (IS) nahm ihr Einfluss zu. Nachdem das irakische Militär unter dem Ansturm des IS zusammengebrochen war, spielten die Milizen eine entscheidende Rolle bei der Niederschlagung der Terrorgruppe. Viele von ihnen wurden während der Jahre des Aufstands und der konfessionellen Auseinandersetzungen nach der US-geführten Invasion im Jahr 2003 gegründet und haben starke Verbindungen zum benachbarten Iran. Der Sieg über den IS hat sie mächtiger gemacht als je zuvor.

Wie auch ihre besiegten Feinde sind viele Anhänger der Volksmobilisierungseinheiten religiöse Fundamentalisten, die sich am Mullah-Regime in Teheran orientieren. Ihre Frömmigkeit hat sie allerdings nicht daran gehindert, sich an der Plünderung der irakischen Ressourcen durch Bestechung oder Gewalt zu beteiligen. Als die irakische Jugend letztes Jahr auf die Straße ging, um gegen die Korruption der Regierung und wirtschaftliche Missstände zu protestieren, schossen Volksmobilisierungseinheiten gemeinsam mit den Sicherheitskräften auf Hunderte friedliche Demonstranten.

"Die Volksmobilisierungseinheiten spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Forderungen nach Liberalisierung und der Akzeptanz anderer Lebensstile zu unterdrücken. Dazu gehört das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen, aber auch außergerichtliche Tötungen und Drohungen", sagt Belkis Wille.

Die Kultur anderer Länder in den Irak bringen

Arshad Fakhry, der fließend Englisch spricht, war den Milizen ein Dorn im Auge. Er organisierte Partys, auf denen Männer und Frauen westliche Musik hörten und zusammen feierten. Es dauerte nicht lang, bis anonyme Drohungen eintrafen.

"Er wurde bereits vor dieser Party oft bedroht. Fakhry hat etwas Neues angeschoben und war damit sehr erfolgreich. Das hat sie gereizt", sagt ein Freund des Entführten, der anonym bleiben möchte. 

Doch Fakhry ließ sich nicht einschüchtern. Die von ihm gegründete Eventfirma Riot Gear veröffentlichte Videos, auf denen Menschen zur Musik von DJs und lokalen Rock- und Hip-Hop-Bands tanzen. "Arshad wollte Kultur aus dem Ausland in den Irak bringen", sagt sein Bruder Amjad. Die Jugendlichen in Bagdad waren Feuer und Flamme.

Arshad Fakhry
Arshad Fakhry organisierte Partys und Drifting-WettbewerbeBild: Privat

Lange bevor er sich ins Partygeschäft stürzte, lernte Fakhry selbst andere Kulturen kennen. Während des Krieges gegen den IS arbeitete er mit ausländischen Journalisten zusammen, organisierte Interviews und Besuche an der Frontlinie. Als die zermürbende, monatelange Schlacht um die Stadt Mossul in den Jahren 2016 und 2017 tobte, fuhr er Reporter in seinem auffälligen Mustang-Sportwagen über löchrige Straßen und vorbei an zerbombten Gebäuden in das Kriegsgebiet.

Fakhrys Leidenschaft für schnelle - und laute - Autos führte zu einer Geschäftsidee. Mit seiner Firma Riot Gear organisierte er ursprünglich Drifting-Wettbewerbe, bei denen Fahrer ihre Autos über den Asphalt schleudern ließen. Um Geld für von Kämpfen betroffene Kinder zu sammeln, organisierte Fakhry einen solchen Wettbewerb außerhalb von Mossul. Doch das Turnier musste abgebrochen werden, als der IS die Veranstaltung mit Drohnen angriff.

Nach dem Sieg über den IS sehen sich liberal gesinnte Iraker wie Fakhry einer anderen Art von Bedrohung gegenüber. So sagt sein Bruder Amjad: "Für uns junge Leute ist das größte Problem der Mangel an Freiheit. Die mit dem Iran verbündeten Milizen und die Regierung kontrollieren alles."

Adaption: Mirjam Benecke