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Politik

SPD: Zurück in die (linke) Zukunft?!

28. August 2018

Renten, Mieterschutz, Löhne - die SPD beschäftigt sich derzeit mit ihren ureigenen Themen. Abgestürzt auf nur noch 18 Prozent will die Partei beim Wähler wieder punkten. Ob das gelingt? Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Deutschland | ARD-Sommerinterview mit Andrea Nahles
SPD-Chefin Andrea Nahles kämpft ums Überleben der SPDBild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Die brütende Hitze ist weg, ein frischer Wind weht durch die Straßen von Berlin und wirbelt das Laub auf, das die Bäume wegen der Trockenheit in diesem Jahr schon früh von sich werfen. Durchlüften, das scheint auch das Motto bei der SPD zu sein. Nach der Sommerpause überrascht die Parteiführung ihre Koalitionspartner CDU und CSU mit ungewohnten Tönen. Laut fordern die Genossen eine "sozialpolitische Offensive" der Bundesregierung und geben auch gleich die Themen vor: Rente, Mieterschutz, Pflege und Mindestlohn.

Ausgerechnet Finanzminister und SPD-Vize Olaf Scholz macht den Vorstoß, dass die Renten nicht nur - wie im Koalitionsvertrag vereinbart - bis 2025 stabil bleiben sollten, sondern der Staat das Niveau der gesetzlichen Altersversorgung bis 2040 garantieren soll. Das würde ein Vermögen kosten und genau deswegen erstaunt Scholz' Vorstoß so. Hatte er nicht noch Anfang Juli bei der Vorlage der Finanzplanung bis 2021 die "schwarzen Null", also den schuldenfreien Haushalt verteidigt?

Regieren allein reicht für die SPD nicht mehr

Während die Union ärgerlich abwinkt und die Wirtschaft empört aufheult, klatscht man in der SPD begeistert in die Hände. Olaf Scholz habe eine "wichtige Zukunftsdiskussion" angestoßen, freute sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, als er zu Wochenbeginn frisch und mit Urlaubsbräune im Gesicht die Stimmung in der Partei zusammenfasste. "Die Gremien haben sich eindeutig hinter Olaf Scholz und seine Vorschläge gestellt, es gab große Unterstützung."

SPD-Vize Ralf Stegner schlägt vor, Spitzenverdiener und Vermögende höher zu besteuern und so die Finanzierung der Rentenpläne zu ermöglichen. Das fordern sie an der SPD-Basis schon lange. Ähnlich gut kommen dort die Vorschläge von Parteichefin Andrea Nahles an, die Hartz-IV-Gesetze zu entschärfen. Junge Bezieher von Arbeitslosengeld II sollten nicht mehr so schnell und drastisch mit Sanktionen belegt werden, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkämen.

SPD ist keine Volkspartei mehr

Nicht nur in der Union reibt man sich die Augen. Was ist mit der bislang so brav mitregierenden SPD los? Die Parteiführung scheint in den Sommerferien viel nachgedacht und radikale Schlüsse gezogen zu haben. Fest steht, dass die Genossen seit der krachenden Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 in den Umfragen von Monat zu Monat weiter abgesackt sind. Die Hoffnung von Olaf Scholz, man müsse nur "gut regieren", dann werde das Vertrauen in die SPD wieder steigen, hat sich nicht erfüllt. Bundesweit kommt die SPD in Umfragen derzeit noch auf knapp 18 Prozent. Damit hat sie den Status einer Volkspartei längst verloren. In den einzelnen Bundesländern fällt der Zuspruch unterschiedlich aus. Vor den anstehenden Landtagswahlen liegt die SPD in Bayern bei unter zwölf Prozent, in Hessen bei gut 23 Prozent.

Infografik Anteil der SPD-Wähler nach Bundesland DE
Zuspruch laut Umfragen. Baden-Württemberg und Niedersachsen fehlen, weil die letzten Umfragen zu lange zurückliegen.

Die zahlreichen Gegner der erneuten großen Koalition zwischen Union und SPD fühlen sich bestätigt. Hatten sie doch im Vorfeld der Regierungsbildung eindrücklich davor gewarnt, dass die Partei im Schatten von CDU und CSU weiter zugrunde gehen und die versprochene Erneuerung der Partei darunter leiden werde. Ende Juni warnte die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis auf einem linken Erneuerungskongress: "Es steht auf Messers Schneide, ob es diese Partei in dieser Macht und Größe in Zukunft noch geben wird."

Panik macht sich breit

Das scheint nun auch der Führungsspitze um Andreas Nahles klar geworden zu sein. Mit einem deutlich spürbaren Kurswechsel und mehr linken politischen Ideen soll das Ruder noch vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen herumgerissen werden. Mit sozialpolitischen Themen will man sich stärker von CDU und CSU absetzen. Heftige Kritik des Koalitionspartners auf sich zu ziehen, ist gewollt. Das bringt die SPD in die Schlagzeilen und macht sie gut sichtbar.

SPD Regionalkonferenz der Landesverbände der SPD Schleswig Holstein und Hamburg
Schwieriger Spagat zwischen Regieren und die SPD erneuern: Andrea Nahles und Olaf Scholz Bild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

So zumindest lautet der Plan. Doch können Nahles und Scholz diesen Spurwechsel auch durchhalten? Seit Jahren stehen die beiden für jene Politik, die zum Absturz der SPD geführt hat. Dem Koalitionspartner CDU/CSU gegenüber kompromissbereit bis hin zur Aufgabe des eigenen Profils und inhaltlich der politischen Mitte zugewandt. Da sind Zweifel angebracht. Wie zur Bestätigung rudert die SPD-Parteichefin in der Rentendebatte auch schon wieder zurück. Die politische Linie bis 2025 hat erst einmal Priorität. Über 2040 kann man später noch sprechen. 

Druck von innen und außen

Können sich Politiker überhaupt so einfach neu erfinden? Letztlich haben Nahles und Scholz keine Wahl. Die SPD-Basis wird immer unzufriedener mit der Arbeit ihrer Spitzengenossen.Im Zuge der angepeilten Erneuerung der SPD haben sich viele Diskussionsforen und Plattformen gebildet. Mehrheitlich und immer lauter wird ein klarer Politikwechsel nach links gefordert. Das ist auch das Ergebnis der zweiten Mitgliederbefragung in der Partei, die in den Sommermonaten stattgefunden hat. Dem kann sich die Parteiführung nicht verschließen.

Druck kommt aber auch von außen. Im August hat die Chefin der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, ihre Sammlungsbewegung "Aufstehen" vorgestellt. Ziel ist es, überparteilich alle linken politischen Kräfte in Deutschland zu versammeln und zu bündeln. In den ersten Tagen ihres Bestehens habe die Bewegung mehr als 50.000 Anmeldungen bekommen, freut sich Wagenknechts Ehemann, der ehemalige Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Inzwischen, so ist auf der Webseite der Bewegung zu lesen, sollen es schon 85.000 sein. Das sind mehr Menschen, als Parteien wie die Grünen oder die FDP Mitglieder haben.

Hat die SPD überhaupt eine Zukunft?

Schon hat der langjährige SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler seine Partei aufgefordert, sich für das neue Projekt zu öffnen. "Eine linke Sammlungsbewegung ist die einzige Chance der SPD auf eine Machtperspektive", so Dreßler. In den Ohren der SPD-Führung muss das wie ein Alarmsignal klingen. Sollte "Aufstehen" Erfolg haben, werden es Wagenknecht und Lafontaine mutmaßlich nicht bei der Überparteilichkeit belassen. Ein Blick in andere europäische Länder zeigt, dass aus Bewegungen schnell greifbar politische Macht erwachsen kann. Für die SPD könnte das der Todesstoß sein.