Helmut Schmidt: Mehr als ein Liebhaber der Musik | Musik | DW | 11.11.2015
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Musik

Helmut Schmidt: Mehr als ein Liebhaber der Musik

Tagsüber die Weltlage, vor dem Schlafengehen saß er am Klavier: Für Helmut Schmidt war die Musik so wichtig wie das Rauchen. Er spielte nicht nur zur Entspannung, sondern gab auch Konzerte.

Helmut Schmidt sah in der Musik so etwas wie ein Lebenselixier. "Johann Sebastian Bach hat die voll zutreffende Bemerkung gemacht," erzählte der Altkanzler einmal, "Musik diene der Rekreation des Gemütes. Rekreation, das heißt: Erholung. Für mich persönlich war das auch immer so."

Umso mehr traf es ihn, als er mit 90 Jahren fast taub wurde. "Es ist der große Schmerz meines Alters, dass ich selbst nach dem Verlust meines Gehörs keine Musik mehr hören kann." Nur noch "Rauschen" kam bei ihm an. Es war ein tiefer Einschnitt in seinem Leben. Dennoch spielte er - zur Erinnerung und zur Entspannung - immer noch Klavier, zwei bis drei Tage pro Woche.

Der Kanzler am dritten Flügel

Selbst wenn Helmut Schmidt nicht in die Musikgeschichte eingehen wird, zeugen seine Piano-Aufnahmen von durchaus respektablem Niveau. So erhielt der Bundeskanzler 1981, in der Spätphase der SPD/FDP-Koalition, einen Anruf aus London vom befreundeten norddeutschen Berufsmusiker Justus Frantz. Zusammen mit einem weiteren Pianisten, Christoph Eschenbach, wollte der Mozarts Konzert für drei Klaviere und Orchester aufnehmen. Der dritte im Bund, der Startenor Placido Domingo, habe allerdings abgesagt, sagte Frantz und forderte Schmidt auf, einzuspringen.

Ob der Kanzler nicht zum Abbey Road-Studio kommen und den fehlenden Solopart spielen könne? "Ja, kann ich denn das auch?" fragte Schmidt überrascht. "Ja, das können Sie. Das wird schön", kam prompt die Antwort. Nach etwas Üben am Klavier hat sich Schmidt breitschlagen lassen und fand sich in London ein.

Helmut Schmidt als Pianist in in der Tonhalle in Zürich. (c) dpa - Report

Schmidts Auftritt in der Tonhalle in Zürich, 1983

Das Ergebnis ist ein respektables Tondokument. Schmidt hat sich selber aber nur als "mittelmäßiges Talent" beschrieben. Mit großer Nonchalance gestaltet er den Solopart. Keine hochtrabende künstlerische Vision ist dort zu erkennen. Sie hätte auch nicht zur Person gepasst, von der das geflügelte Wort stammt: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen."

Von Kabinettssitzungen zu Bach-Fugen

In einem NDR-Interview zum Tod des Altbundeskanzlers beschreibt Frantz Schmidt als "höchst begabt" und erinnert sich daran, dass auf seinem Flügel zu Hause die Bilder zweier Komponisten standen: Bach und Gershwin.

Er war eben ein leidenschaftlicher Klavierspieler. Ob Schmidt zur Amtszeit nur genug Zeit fand, hin und wieder zu spielen? "Als Bundeskanzler hat er noch viel geübt, vielleicht mehr denn je", sagt Justus Frantz und führt fort: "In seiner Zeit als Kanzler sagte er mir immer wieder: 'Das war ein Tag mit Tausend Verhandlungen und Tausend Menschen', was ihn innerlich entleerte - und dass er danach unbedingt Musik brauchte. Und das hat er ganz konsequent durchgeführt. Auch wenn es um ein Uhr nachts war und er nach einer Veranstaltung nach Hause kam, dann setzte er sich noch eine Stunde ans Klavier und spielte Bach-Fugen. Und dann sagte er, 'So jetzt bin ich wieder mit mir im Reinen. Jetzt kann ich gut morgen wieder arbeiten."

Leonard Bernstein mit Helmut Schmidt und Justus Frantz, 1984 in Hamburg

Mit Leonard Bernstein (m.) pflegte er eine herzliche Freundschaft, hier auch mit Justus Frantz (l.)

Seine musikalischen Vorlieben gingen aber auch über die Klassik hinaus: Schmidt hatte ein Faible für Jazz, Swing und Rock. Zu seinen Favoriten gehörten Dave Brubeck und die Beatles. Als Verteidigungsminister in der Regierung von Willy Brandt rief Schmidt die Bundeswehr-Big Band ins Leben, und später, als Regierungschef, unterhielt er nähere Bekanntschaften zu den Dirigenten Herbert von Karajan, Kurt Masur und Leonard Bernstein.

Lebenslange Leidenschaft für Musik und die Künste

Der in einem Arbeiterviertel in Hamburg geborene Politiker erhielt Musikunterricht noch als Kind; in der Familie wurde viel gesungen und Klavier gespielt. In seiner Zeit als Jungsoldat durfte er die Künstlerkolonie in Fischerhude immer wieder besuchen. Diese "einzige geistige Oase in der Nazizeit" weist auf seine lebenslange Leidenschaft für die bildende Kunst hin. Schmidts eigene Aquarelle wurden als "talentiert" beschrieben. Auch als Autor von 30 Büchern betätigte sich der Altbundeskanzler und Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit". Als großer Intellektueller kannte er die Schriften von Literaten und Philosophen wie Immanuel Kant, Max Weber, Karl Popper und Mark Aurel.

Helmut Schmidt und Ehefrau Loki in Lübeck

Auch seine Ehefrau Loki teilte seine Leidenschaft zur Musik

1985 erschien bei der Deutschen Grammophon eine Aufnahme des Konzerts für vier Klaviere und Orchester von Johann Sebastian Bach. Die Solisten waren Christoph Eschenbach, Justus Frantz, Gerhard Oppitz - und noch einmal Helmut Schmidt. Bach hat ihn zeitlebens beschäftigt, und eine Wesensähnlichkeit, vielleicht sogar eine Identifikation mit dem Altmeister, kann man in diesem Zitat Helmut Schmidts heraushören: "Bach hat gewiss seinen eigenen Rang gekannt. Er war durchaus selbstbewusst. Gleichwohl hat er sich mit einer gewissen Demut in die Ordnung eingefügt. Er wollte nicht etwa etwas kolossal Neues schaffen - trotzdem aber war seine Musik in einem Sinne progressiv, nämlich in die Zukunft weisend."

Entsprechend wichtig war es ihm, dass auch junge Menschen mit Musik in Berührung kommen. "Lasst uns also dafür sorgen, dass in unseren Wohnungen und dass in unseren Schulen gesungen wird und Musik gemacht wird. Auf dass die Nachwachsenden lernen, daran Freude zu haben", sagte er einmal.

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